Wie Plastikperlen Wale retten können

Milliarden von Meereslebewesen verenden als unerwünschter Beifang der Fischerei. Für den Artenschutz ist das eine Katastrophe. Doch wie vermittelt man einem Fisch, dass er im Netz nicht gewollt ist?

Ein Fischkutter vor der ostfriesischen Küste – seit 2015 müssen sich alle Fischer in der EU an das Anlandegebot halten
Ein Fischkutter vor der ostfriesischen Küste – seit 2015 müssen sich alle Fischer in der EU an das Anlandegebot haltenIMAGO/Jürgen Schwarz

Sie verfangen sich in Netzen und an Langleinen, ersticken dort oder erliegen später ihren Verletzungen: 40 Prozent aller in der Fischerei gefangenen Tiere sterben nach einer Hochrechnung von Umweltschützern als unerwünschter Beifang. Der World Wide Fund for Nature (WWF) schätzt, dass pro Jahr bis zu 100 Millionen Haie und Roche dadurch ums Leben kommen, dazu etwa 300.000 Wale und Delfine, 250.000 Schildkröten und mehr 300.000 Seevögel. Manche Tierarten seien dadurch bereits vom Aussterben bedroht, sagt Karoline Schacht, WWF-Expertin für Fischerei.

Dabei sind auch Fische, die eigentlich zum Verzehr geeignet wären, im Netz oft nicht erwünscht. Ganz verheerend sei das bei der Fischerei mit einem Schleppnetz, das über den Meeresgrund gezogen wird, sagt Schacht. Um den Laderaum zum Beispiel mit möglichst vielen wertvollen Seezungen füllen zu können, würden die mitgefangenen, aber nicht so profitablen Flundern einfach wieder über Bord geworfen.

Vorschrift wird kaum kontrolliert

In der EU ist das seit 2015 nicht mehr erlaubt, zumindest für Fische, für die eine Fangquote gilt. Davon muss jeder einzelne mit an Land genommen und auf Quote angerechnet werden, ob er gewollt ist oder nicht. So sollen die Fischerinnen und Fischer dazu bewegt werden, auf Fangmethoden zu setzen, mit denen nur die gewünschten Meerestiere im Netz landen. Allerdings werde die Einhaltung des sogenannten Anlandegebots in der EU kaum kontrolliert, kritisiert Schacht.

Auch Daniel Stepputtis, Fischereibiologe am Rostocker Thünen-Institut für Ostseefischerei, ist von der Umsetzung nicht überzeugt. „Wer sich daran hält, ist am Ende der Idiot, denn er macht weniger Profit als die anderen.“ Nötig wären elektronische Überwachungssysteme auf allen Kuttern, wie es sie in Ländern wie Kanada oder Dänemark zum Teil schon gibt, sodass alle Fischer dieselben Chancen haben.

Ein Loch im Netz

Am besten wäre es natürlich, erst gar keinen Beifang zu machen. Im Idealfall kann man sich die Form der Fische zunutze machen, um zu selektieren – durch angepasste Maschengrößen oder Hakenformen. Klappt das nicht, können artspezifische Verhaltensmuster ausgenutzt werden. So haben die Fachleute am Thünen-Institut herausgefunden, dass Dorsche in Stresssituationen dazu tendieren, nach oben zu schwimmen, wohingegen Flundern eher nach unten abdrehen. „Simpel gesagt haben wir dann einfach oben ein Loch ins Netz geschnitten“, erzählt Stepputtis.

Auch auf Licht reagieren verschiedene Fischarten unterschiedlich. Versuche der Arizona State University mit farbigen, ins Netz integrierten LED-Leuchten haben gezeigt, dass sich damit der Beifang von Haien und Rochen um ganze 95 Prozent reduzieren lässt. Für Wale und Delfine reicht es dagegen schon, kleine Plastikperlen in die Stellnetze zu integrieren – sie reflektieren die Schallwellen, anhand derer sich die Meeressäuger orientieren. Dadurch wirke das Netz für sie wie eine massive Wand, sagt Stepputtis.

Stromstoß für Haie

Haie haben zudem einen feinen Sinn für elektromagnetische Felder, womit sie den Herzschlag ihrer Beutetiere aufspüren. Die britische Firma Fishtek Marine entwickelt aktuell ein Gerät, das an Thunfisch-Langleinen vor den Haken angebracht wird und alle zwei Sekunden einen kleinen Stromstoß aussendet. Den Hai verwirrt das offenbar dermaßen, dass er nicht zubeißt.

Fraglich ist, wie gut sich diese ausgefeilten elektronischen Geräte im großen Stil einsetzen lassen. „Wenn wir Fischer dazu bringen wollen, sie zu benutzen, muss die Ausrüstung wartungsarm, langlebig und günstig sein“, sagt Stepputtis.

Fang statt Abfall

Zudem brauche es Anreize, auf die neuen Techniken umzusteigen, ergänzt Karolin Schacht. „Die Fischer haben schon Interesse an Lösungen. Aber sie müssen auch ihre Kutter abbezahlen.“ Deshalb gehöre zu jeder technischen Innovation auch ein Finanzierungsmodell und politische Leitplanken.

Doch die größte Macht hat der Verbraucher, sind sich die Experten einig. Um aus unerwünschtem Abfall einen willkommenen Fang zu machen, müsste sich nur die Nachfrage ändern, sagt Daniel Stepputtis. „Am Ende würde ein Kochbuch vielleicht mehr helfen als ein neues Netz.“ Womit er wohl nicht meint, dass man in Zukunft mehr Haifischflossensuppe und Schildkrötenragout essen sollte. Aber vielleicht statt der Seezunge mal eine Flunder.