Wie Leichte Sprache zu persönlicher Entwicklung beitragen kann

Langsam sprechen, eine Kernaussage pro Satz – vielen hilft Leichte Sprache dabei, am täglichen Leben teilzuhaben. Shpresa Matoshi hat sie zudem selbstbewusst gemacht, berichtet die Osnabrückerin mit Lernschwierigkeiten.

Kurze Sätze, langsames Sprechen und keine Fremdwörter – das sind einige Grundsätze, die Leichte Sprache ausmachen. Leichte Sprache soll Menschen, die zum Beispiel eine Behinderung haben, Teilhabe ermöglichen. Shpresa Matoshi, 34 Jahre alt, ist so eine Frau: Die Osnabrückerin hat eine Lernbehinderung und engagiert sich ehrenamtlich im Vorstand des Vereins „Netzwerk Leichte Sprache“ mit Sitz in Berlin. Matoshi erklärt: „Leichte Sprache macht es für mich einfacher, mich mit anderen Menschen zu unterhalten, dann bin ich nicht so ausgeschlossen. Und sie hilft mir, mein Leben selbst zu gestalten.“

Nach Angaben von Thorsten Lotze, ebenfalls im achtköpfigen Vorstand des Vereins, wird Leichte Sprache in Deutschland bislang noch viel zu wenig eingesetzt. Dabei gehe man davon aus, dass rund 10 Millionen Menschen in Deutschland diese bräuchten. Dazu gehörten neben Menschen mit Behinderungen auch Geflüchtete, ältere Menschen, solche, die einen Schlaganfall hatten, Gehörlose oder gering literalisierte Menschen, also Männer und Frauen, die auch kürzere Texte nicht richtig lesen und schreiben können. Allein die letzte Gruppe umfasse rund 6,2 Millionen Menschen bundesweit. Lotze fordert: „Um Inklusion wirklich zu leben, muss Leichte Sprache viel mehr genutzt werden.“

Der Verein setzt sich für ein allgemeines Recht auf Leichte Sprache ein, ihren verstärkten Einsatz sowie einheitliche Regeln für die Leichte Sprache. Das „Netzwerk Leichte Sprache“ existiert seit 2013 als Verein und hat eigenen Angaben zufolge rund 240 Mitglieder in sieben westeuropäischen Ländern, darunter die Caritas, die Awo und die Lebenshilfe.

Deutschland wurde von den Vereinten Nationen zuletzt im September 2023 dafür gerügt, die UN-Behindertenrechtskonvention nicht ausreichend umzusetzen. „Dazu gehört auch der unzureichende Einsatz Leichter Sprache“, sagt Lotze. Seit der Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes im Jahr 2018 seien Behörden etwa dazu verpflichtet, Informationen oder Bescheide in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen. „Die Krux ist, dass viele Ämter das gar nicht wissen.“

Ebenso wüssten viele Menschen mit Behinderung nicht, dass sie Leichte Sprache einfordern dürften. „Kaum jemand wirbt mit einem Angebot in Leichter Sprache. Es müsste in Werkstätten und Wohnheimen deswegen viel stärker darauf hingewiesen werden, dass Menschen mit Behinderungen ein Recht darauf haben“, erklärt der Vereinsvorstand.

Shpresa Matoshi berichtet, dass sie bei Briefen von Ämtern oder anderen Institutionen ihre Brüder um Hilfe bittet. Wären sie in Leichter Sprache verfasst, könnte Matoshi sie wahrscheinlich selbst bearbeiten. Zur Leichten Sprache zählt auch die Gestaltung: So kommt es in Briefen etwa auch auf die Schriftgröße und die „Luftigkeit“ ein. „Die Briefe, die ich bekomme, sehen schon kompliziert aus“, sagt Matoshi. „Es sind zu viele Aussagen in einem Absatz, das Layout ist zu dicht. Dann verliere ich schnell die Orientierung und weiß nicht mehr, wo ich bin“, erklärt die 34-Jährige.

Die Osnabrückerin kann sich sehr gewählt ausdrücken. „Aber ich könnte nicht alles, was ich sage, erklären. Ich hab mir angewöhnt, mich anzupassen und nicht aufzufallen“, sagt Matoshi. Durch ihre Behinderung fielen ihr das Lernen und Lesen schwer, ebenso längeres konzentriertes Zuhören. Laut Lotze hat Leichte Sprache allerdings dazu geführt, dass sich Matoshi persönlich und sprachlich deutlich weiterentwickelt habe. Sie selbst sagt: „Durch Leichte Sprache traue ich mir viel zu. Sonst wäre ich immer noch in einer Werkstatt.“

Matoshi hat sich vor wenigen Jahren in einem aus Fördermitteln finanzierten Modellprojekt zur Büro-Praktikerin qualifiziert. Seit November sucht sie nun eine neue Arbeit. Bislang sei die Jobsuche frustrierend, wie sie berichtet. „Ich höre oft, die Firmen haben keinen, den sie für mich abstellen können. Dabei habe ich selbst einen Job-Coach, ich brauche das gar nicht.“ Sie hat den Eindruck, Firmen würde lieber eine Ausgleichsabgabe zahlen, als einen Menschen mit Behinderung einzustellen und damit ihre Schwerbehindertenquote zu erfüllen. „Ich muss mich viel erklären und rechtfertigen. Dabei habe ich mir das doch auch nicht ausgesucht“, sagt sie.

Lotze zufolge wäre die 34-Jährige dabei etwa für öffentliche Einrichtungen, die Leichte Sprache vorweisen müssen, eine „super“ Mitarbeiterin. „Mit ihr hätten sie direkt auch eine Prüferin für Leichte Sprache mit dazu gewonnen“, sagt er.

Während bei Behörden mit Blick auf Leichte Sprache offenbar noch Nachholbedarf besteht, wird sie anderswo tagtäglich eingesetzt: an Förderschulen. An der Heinrich-Hanselmann-Schule in Sankt Augustin im Rhein-Sieg-Kreis etwa werden Schülerinnen und Schüler zwischen 6 und 19 Jahren unterrichtet, die einen Förderbedarf im Bereich Geistige Entwicklung haben. „Für uns ist Leichte Sprache ein grundlegendes Prinzip, um Dinge verständlich zu machen“, berichtet Sonderpädagogin Theresa Fischer.

Es gehe beispielsweise darum, klare Aufgaben zu stellen, kurze Sätze zu sprechen oder zu schreiben, Konjunktive genauso wie Fachwörter zu vermeiden. Lange, zusammengesetzte Wörter würden durch ein Bindestriche getrennt und grundsätzlich werde Sprache und Kommunikation auf das Wesentliche reduziert. „Wir nennen das Elementarisierung“, sagt Fischer.

Zusätzlich verwenden die Sonderpädagogen im Unterricht Piktogramme, also Symbol-Karten, oder vermitteln Unterrichtsstoff, indem sie ihn erlebbar machen. Wenn es in einem Text etwa um Geborgenheit gehe, bringe eine Lehrerin schon einmal eine Wärmflasche mit in die Klasse.

Fischer nennt die Leichte Sprache für ihren Berufsalltag „essenziell“. Lotze sagt: „Wenn die Gesellschaft insgesamt etwas mehr Tempo aus dem Sprechen herausnehmen und etwas leichter sprechen würde, dann würden wir so viel mehr Menschen mitnehmen.“ Er fürchtet jedoch, dass es noch ein langer Weg ist, bis die Gesellschaft so weit sei – und Inklusion ihren Namen in Deutschland auch verdient habe.