Wie geht Vergebung?

Groll, Wut und Vorwürfe sind häufige Gefühle nach Verletzungen. Das Loslassen ist schwer – tut aber gut, schreibt Anna Margarete Krätschell.

Wenn Schuld und Vorwürfe eine Beziehung beherrschen, wachsen die trennenden Wände immer höher
Wenn Schuld und Vorwürfe eine Beziehung beherrschen, wachsen die trennenden Wände immer höherzinkevych

Wie kann ich vergeben? Das ist wahrscheinlich eine der drängendsten Fragen der Menschheit. Der Wunsch, erlittenes Unrecht zu vergelten und die Dinge wieder ins Gleichgewicht zu bringen, übt große Macht über uns aus, vergiftet aber das eigene Leben gleich mit. Das Evangelium fordert zu einer anderen Haltung auf.

Vergebung ist etwas anderes als Versöhnung. Versöhnung braucht den Dialog, braucht einen Prozess der Verständigung. Einem Menschen zu vergeben, ist meine Entscheidung, von der der oder die Andere gar nichts wissen muss.

Ich tu es für mich. Es gehört zu unserer Lebenserfahrung, dass wir unverhofft von einem anderen Menschen angegriffen, beschuldigt, verletzt oder geschädigt werden. Ich bin für jemanden zum Ärgernis geworden und weiß nicht wieso. Diese Verletzung, die immer mal wach wird, kann lange zurückliegen, vielleicht ist der Konfliktpartner längst gestorben oder aber ich wohne Seite an Seite mit ihm und immer noch spüre ich Groll, Schmerz oder Bitterkeit, wenn ich an diesen Angriff denke. Diese Gefühle verbrauchen meine guten Lebenskräfte. Ich bin eingeschlossen in dieses Fühlen, meine Gedanken drehen sich im Kreis, meine Lebensfreude ist gebremst.

Was habe ich selbst verschuldet?

Zunächst muss ich davon ausgehen, dass der Andere nicht ohne Grund verletzend wurde. Ich bin nicht so wach, dass ich mit Gewissheit sagen kann, von mir ist nichts Negatives ausgegangen. Und andere können auf Grund ihrer Lebenserfahrungen meine Äußerung, mein Handeln völlig anders erleben, als ich es gemeint habe.

Egal also, ob willentlich oder unabsichtlich, ich bin Teil des Konfliktes. Was kann ich tun?

Es gibt zwei Wege: Unser erster innerer Reflex sagt: Wie du mir, so ich dir! Wir neigen dazu, mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Es folgt Kränkung auf Kränkung, Verachtung auf Verachtung, Verklagen auf Verklagen, Töten auf Töten. Das ist der Wahnsinn aller Kriege, im Großen wie im Kleinen.

Vergebung und das Ego

Das ist die Ebene des Ego. Unser Ego liebt die Dramen, muss siegen, weil es sich dann stark und kraftvoll auf seinen dünnen Beinchen fühlt. Aber bei diesen Gefühlen zu bleiben ist so, als ob ich Gift trinke in der Hoffnung, der Andere stirbt daran.

Doch ich selbst werde daran sterben, weil meine Lebensenergie, meine Liebesfähigkeit, mein Mitgefühl, meine Freude und Gesundheit sinnlos geopfert werden. Und ich mich hoffnungslos an die Vergangenheit binde.

Für den zweiten Weg gibt Christus uns im Neuen Testament die Antwort:

Auf die Frage des Petrus: Wie oft muss ich vergeben? antwortet Jesus: Siebenundsiebzigmal. Weiter sagt er: Vergebt einander, wie auch Gott euch vergeben hat. Am Kreuz bittet er für seine Folterer: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Im Vaterunser beten wir: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Ohne Bedingungen

Die Liebesbotschaft Christi wirbt für ein Leben in Selbstlosigkeit. Jesu klare Aussagen bieten keinen Kompromiss an: Wenn du jemandem vergeben willst, tu es unbegrenzt, ohne Bedingungen, verzichte für immer auf Rachegefühle und Vergeltung. Das ist für unser Denken fast unmöglich. Da brauchen wir Hilfe. Da brauchen wir eine Kraft, die oberhalb unserer Kränkbarkeit wirkt. Diese Kraft liegt im Raum des Göttlichen, im Raum des Friedens, der höher ist als all unsere Vernunft. Und diese Kraft hat schon für uns vorgesorgt: In dem Wort Vergebung ist das Wort Gabe enthalten.

Wir sind von Gott mit der Fähigkeit begabt, vergeben zu können. Diese Gabe tragen wir immer in uns, denn Gott will durch uns zur Wirkung kommen. Mit dieser Gabe lädt Gott uns ein, mit ihm zusammenzuarbeiten. Es geht also nicht um eine moralische oder christliche Pflicht. Christus erinnert uns mit seiner Bitte daran, dass wir wählen können, ob wir uns vom Ego fesseln lassen oder ob wir in seinen Frieden einkehren und von dort liebevoll und frei leben und handeln wollen. Wenn wir im Geist der bedingungslosen Liebe ankommen, kann uns das Ego nicht länger an die Gefühle fesseln, mit denen es Macht über unsere Gedanken und unsere Seele hat.

Kein Opfer mehr sein

Ich bin frei, den Anderen zu segnen. Bin frei, ihm von ganzem Herzen alles erdenklich Gute zu wünschen. Damit kommt mein Gefühl, Opfer zu sein, ganz schnell an sein Ende.

Und ich bin frei, die göttliche Kraft zu bitten, dass die Menschen, die ich verletzt habe, mir vergeben, damit ihre Seele von Groll und Bitterkeit befreit wird.

In Wahrheit wird mein Vergeben zum Segen für mich, weil es mir wieder Leichtigkeit und Lebensfreude schenkt. Sie ist eben eine göttliche Gabe.