Wie ein Ritter-Drama Goethe zum Durchbruch verhalf

Vor 250 Jahren wurde Goethes Schauspiel „Götz von Berlichingen“ erstmals aufgeführt. Das Stück brach mit allen Regeln und war ein Skandal – nicht nur wegen eines derben Spruchs.

Diese Statue zeigt den Götz von Berlichingen in Jagsthausen (Baden-Württemberg), wo die historische Götzenburg steht
Diese Statue zeigt den Götz von Berlichingen in Jagsthausen (Baden-Württemberg), wo die historische Götzenburg stehtImago / Imagbroker

Als der junge Johann Wolfgang von Goethe am 12. April 1774 seinen „Götz von Berlichingen“ auf die Bühne bringt, ist das für das Publikum eine Provokation. Nicht nur wegen der derben Sprache des Titelhelden: So ein Trauerspiel hatte man im Theater noch nicht gesehen. Das Ritter-Drama, das zugleich das Bild einer Gesellschaft im Umbruch zur Neuzeit zeichnet, wird der erste große Erfolg Goethes – und der 24-Jährige schafft damit Literaturhistorikern zufolge den Anschluss deutscher Dichtung an die Weltliteratur. Die Uraufführung war vor 250 Jahren im Berliner Comödienhaus.

Die Wirkung des stilbildenden Sturm-und-Drang-Stücks, in dem Gefühle, Kritik am Feudalismus, Freiheitssehnsucht und auch das Ideal des einfachen Lebens im Mittelpunkt stehen, war epochal. Friedrich Schillers Drama „Die Räuber“ sowie die unzähligen Ritterdramen und Historienromane der folgenden Jahrzehnte waren vom „Götz“ inspiriert, bis hin zu Walter Scott („Ivanhoe“), der das Drama 1799 ins Englische übersetzte.

Goethe schrieb Urfassung in wenigen Wochen

Bereits 1771 hatte Goethe in nur wenigen Wochen die Urfassung niedergeschrieben – „ohne weder rückwärts, noch rechts, noch links zu sehn“, wie er in „Dichtung und Wahrheit“ später berichtete. Vermutlich war er in der Bibliothek des Vaters auf die Autobiografie des Raubritters und Abenteurers von Berlichingen (1480-1562) gestoßen, der im Kampf eine Hand verloren hatte. Als Jurastudent erkannte er deren dramatisches Potenzial; er gestaltete den Stoff frei, auch indem er die Figur des Götz stark idealisierte.

Das Museum "Casa di Goethe" in Rom zeigt diese historische Ausgabe des "Götz von Berlichingen"
Das Museum "Casa di Goethe" in Rom zeigt diese historische Ausgabe des "Götz von Berlichingen"Imago / epdbild

Im „Götz von Berlichingen – Mit der Eisernen Hand“ geht es um Freiheit und Gerechtigkeit, Treue und Verrat: Berlichingen wird durch den alten Freund Adalbert von Wieslingen verraten, der sich Götzens Feind anschließt, dem Bischof von Bamberg. In Bamberg will der höfische Adel ein modernes, in Gesetze gegossenes römisches Recht durchsetzen. Für Götz hingegen gelten weiterhin die mittelalterlichen Werte von Treu und Glauben, Faust- und Fehderecht. Er will sich nicht unterordnen, was zu blutigen Schlachten und zum Bündnis mit aufständischen Bauern führt.

Mit seinen zahllosen Schauplätzen und Nebensträngen fiel die Erstfassung des Stücks verwirrend aus, urteilt der Münchner Germanist Dieter Borchmeyer. Nach Kritik von Johann Gottfried Herder überarbeitete und straffte Goethe das Stück und veröffentlichte es dann 1773 – zunächst anonym und im Selbstverlag. Der privat organisierte Verkauf lief gut, schon ein Jahr später war die öffentliche Theaterpremiere.

Goethe bricht mit Vorbild Shakespeare

Neu war, dass Goethe nach dem Vorbild Shakespeares die damals in Stein gemeißelte Regel der Einheit von Ort, Zeit und Handlung im Drama aufgab. Von einem sogenannten Zigeunerlager und Bauernhochzeit über Kampfgetümmel und Burgsaal bis zum Hofe reichen die Schauplätze. Das Drama zieht sich über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Die Hauptfigur selbst entwickelt sich einigen Interpreten zufolge sogar, was ebenfalls ein Novum wäre: Am Ende sehe Götz, gebrochen, dass er und seine (Ritter-)Zeit sich überlebt hätten.

Der Augsburger Germanist Ulrich Hohoff dagegen kann eher keine Entwicklung Götzens entdecken. „Er steht auf der moralisch richtigen Seite, die anderen auf der falschen“, sagt der Vorsitzende der Augsburger Goethe-Gesellschaft. Wenn überhaupt, entwickle Götz eine „Lagermentalität“, die nur noch Freund oder Feind kenne.

Götz von Berlichingen: Auch sprachlich neue Wege

Sprachlich geht Goethe auf jeden Fall neue Wege: Anders als auf der herkömmlichen tragischen Bühne treten „zum ersten Mal Gestalten auf, welche vorgeblich die Sprache ihrer eigenen Zeit reden“, schrieb Germanist Borchmeyer in der „Neuen Zürcher Zeitung“. So sei ein „je nach Stand, Milieu und Schauplatz abgetöntes, zwischen dialektgefärbten, höfisch-affektierten und archaisierenden Redeweisen wechselndes Idiom entstanden“.

Dazu gehört auch der Kraftausdruck des Titelhelden: Als ein kaiserlicher Hauptmann dem in seiner Burg festsitzenden Götz ausrichten lässt, dieser möge aufgeben, erklärt Götz: „Vor Ihro Kaiserliche Majestät hab ich, wie immer, schuldigen Respekt. Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!“ In späteren Fassungen wurde das Zitat abgeschwächt oder ganz gestrichen.

Jagsthausen veranstaltet Götz-Festspiele

Die „Eiserne Hand“ des Helden, im Stück durch einen Mönch fast als Reliquie verehrt, zeigt allerdings laut Hohoff, wie angreifbar dieser ist. Die historisch verbürgte mechanische Handprothese habe in der Realität bedeutet, dass der Ritter sich seiner Feinde nicht mehr mit eigener Kraft erwehren konnte. Auch Goethes Götz unterliegt letztendlich.

Das Münchner Residenztheater brachte den „Götz“ 2023 auf die Bühne, fast bis zur Unkenntlichkeit modernisiert; sonst sind derzeit kaum Aufführungen zu entdecken. Zu unmodern der Held, zu kompliziert das Stück, vermutet Ulrich Hohoff. Einzig auf der historischen Götzenburg im württembergischen Jagsthausen finden jeden Sommer Götz-Festspiele statt – ein lokales Spektakel, von den heutigen Nachkommen des Ritters unterstützt und vor einmaliger Kulisse.