Wie Donald Tusks Regierung mit hohem Tempo Polen verändert

Vor einem halben Jahr wählten die Polen den Politikwechsel: Eine von Ministerpräsident Donald Tusk (Bürgerplattform) angeführte bunte Regierungskoalition löste das nationalkonservative Bündnis der PiS ab. Was tut sich?

Umstrukturierung der öffentlich-rechtlichen Medien, Schulunterricht ohne Hausaufgaben, vier Entwürfe für ein liberaleres Abtreibungsgesetz – seitdem die Mehrheit der Polen im vergangenen Oktober für einen Politikwechsel gestimmt hat, setzt die von Ministerpräsident Donald Tusk (Bürgerplattform, Teil des Wahlbündnisses Bürgerkoalition) geführte Mitte-Links-Regierung alles dran, die Reformversprechen des Wahlkampfs mit Höchstgeschwindigkeit umzusetzen.

Nichts und niemand wird geschont. Auch nicht der frühere Justizminister Zbigniew Ziobro (Souveränes Polen), dem schon als Amtsträger die unrechtmäßige Verwischung von Judikative und Legislative vorgeworfen wurde. Mit vom Inlandgeheimdienst ABW aufgedeckten Zahlungen aus dem Justizfonds an einen Warschauer Priester und Ex-Exorzisten, der von einem Medienzentrum träumt, ist der umstrittene und an Krebs erkrankte Politiker tiefer ins Visier von Sonderermittlern geraten. Ziobros Haus wurde durchsucht. Ob die beim rechtskatholischen Sender „Radio Maryja“ für seine Gesundheit gebeteten Barmherzigkeits-Rosenkränze ihm helfen werden?

Aus Sicht des bekannten Historikers und politischen Kommentators Arkadiusz Stempin verdient die neue Regierung Anerkennung für ihr beherztes Durchgreifen. „Zum ersten Mal nach der Wende von 1989 hat Polen eine Regierung, welche eine Reihe von gesellschaftlichen Missständen frontal angeht. Ohne Rücksicht auf die mentalen Schranken in vielen polnischen Köpfen“, so Stempin gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Dies sei ein absolutes Novum. „Diese Regierung greift durch und fürchtet auch nicht den Wirbel und Widerstand innerhalb der Gesellschaft.“

Zu den Kräften, die mit Tusks Tempo und dem Reformeifer seiner Koalition fremdeln, gehört die katholische Kirche des Landes. Kaum stand Weihnachten vor der Tür brachte Tusk den Pensions-Fonds für Priester zur Sprache, der Geistlichen seit Jahrzehnten Renten-Privilegien garantiert, von denen andere Berufsgruppen nur träumen können. Gut möglich, dass der Kirchenfonds aufgelöst wird und die Kirche auf ganz neue finanzielle Beine gestellt wird.

Auch der Religionsunterricht wurde schnell zum Diskussionsgegenstand von Bildungsministerin Barbara Nowacka (Bürgerkoalition) erhoben und katholische Buch-Klassiker vom legendären Primas, Kardinal Stefan Wyszynski, und dem späteren Papst, Karol Wojtyla, sollen aus dem Schulkanon entfernt werden.

Eine progressive Unterscheidung der Geister? In zehn Jahren PiS-Regierung sind die traditionsgemäß offenen Grenzen zwischen Glauben und Nationalstolz in Polen weiter verwischt worden. „Mit dem Abtritt von PiS hat die Kirche in Polen ihren natürlichen Verbündeten verloren“, so Stempin und findet es bemerkenswert, dass der neue Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Tadeusz Wojda, Anfang April die Parlamentarier bei der Abstimmung zu vier liberalen Abtreibungs-Gesetz-Entwürfen auf die Stellungnahme der Kirche aufmerksam machte. Als käme der Kirche in Sachen Lebensschutz eine besondere Autorität zu.

Dabei wissen die Koalitionspartner Bürgerplattform, Neue Linke und christlich-liberaler Dritter Weg, dass es für keinen der Entwürfe eine Chance zur Gesetzgebung gibt, solange der Präsident Andrzej Duda heißt. Selbst wenn die zur Prüfung eingesetzte Sonderkommission den eher gemäßigten Entwurf des Dritten Weges favorisieren sollte – beim nationalkonservativen Präsidenten ist Endstation.

Was die Frage aufwirft, wer Duda im nächsten Jahr beerben wird. Mit inzwischen 67 Jahren könnte das Präsidentenamt für Donald Tusk das letzte Sahnestück in seiner politischen Laufbahn sein. Doch wer moderiert dann die bunte Regierung? Beides, Ministerpräsident und Präsident, kann selbst der immer noch agil wirkende Mann aus Sopot nicht gleichzeitig stemmen. So könnte – wenn Tusk seinen persönlichen Ehrgeiz zügelt – der Weg zum Präsidentenpalast für den Warschauer Stadtpräsidenten und Parteikollegen Tusks, Rafal Trzaskowski, frei werden. Die Bürgermeisterwahl in Warschau, die als ein wichtiger Popularitätstest angesehen werden kann, hat Trzaskowski gerade problemlos im ersten Durchgang gewonnen.

Ähnliche Probleme kennt man auch bei PiS, wo Tusks ewiger Rivale Jarosław Kaczynski das Ergebnis der Kommunalwahlen am 7. April als Erfolg für die Nationalkonservativen verbuchte. Dabei war der Wahlausgang so wie immer: Bürgerplattform stark im Westen und in den Metropolen, PiS stark im Osten und auf dem Land. Auch Kaczynski, der im Juni 75 Jahre alt wird, steht derzeit ohne einen Präsidentschaftskandidaten dar. Dazu kommt die weiterhin offene Frage, wer nach ihm der neue PiS-Leitwolf werden könnte. Ex-Premier Mateusz Morawiecki? Ex-Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak?

Auch auf dem Feld der Außenpolitik setzt Tusks Tempo-Regierung neue Akzente. Im Zeitalter der neuen Welt-Unordnung sucht der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski zwar wie seine Vorgänger die Nähe zu Washington, doch lieber zu Präsident Joe Biden als zu Donald Trump. In Europa suchen Sikorski und Tusk die Nähe zu Frankreich und Deutschland und hauchen damit dem Weimarer Dreieck neues Leben ein. Das Visegrad-Viereck aus vier ostmitteleuropäischen Staaten, auf das Kaczynski lange setzte, scheint wegen des putinfreundlichen Viktor Orban eingestürzt zu sein. Tusk will auch unbedingt die EU-Gelder, die während der PiS-Eiszeit eingefroren wurden.

„Es hat ein neuer Ton Einzug gehalten in die polnische Politik. Die toxische Bestäubung des deutsch-polnischen Raumes durch die PiS ist vorbei“, ist Arkadiusz Stempin überzeugt. Daran hat auch Donald Tusk seinen kommunikativen Anteil. Nach innen und nach außen. Ein bisschen ist er doch der doppelte Donald.