Wie der Wunsch nach „Likes“ zu Essstörungen beitragen kann

Früher Frauenzeitschriften, später „Germany’s Next Topmodel“, heute TikTok: Medien tragen mitunter zu einem negativen Bild des eigenen Körpers bei. Fachleute sehen durch die Sozialen Medien indes neue Brisanz.

Kochrezepte und Fitness-Tipps in unmittelbarer Nähe – dieser scheinbare Widerspruch, damals noch in Frauenzeitschriften, diente Comedians schon vor Jahrzehnten als Gag-Vorlage. Die Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ begleiteten ebenfalls von Anfang an Debatten um Körperideale und Ernährungsgewohnheiten. Heute gehören Soziale Medien zum Alltag, vor allem für junge Menschen. Insofern überraschen neueste Studienergebnisse kaum: Eine besonders lange und intensive Nutzung der Plattformen kann demnach das Risiko für Essstörungen erhöhen.

Im Gegensatz zu TV-Sendungen oder Zeitschriften seien die Sozialen Medien ständige Begleiter, sagt Katrin Giel. Die Tübinger Professorin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sieht durchaus Vorteile in der digitalen Kommunikation. Wenn Inhalte jedoch ständig in den Alltag „schwappten“, setze man sich mit ihnen auch viel intensiver auseinander. Gerade für junge Menschen sei die Abgrenzung dann schwer. Und: Manche Kanäle, die sich vorgeblich mit gesunder Lebensführung beschäftigen, kommunizierten teils problematische Inhalte.

Laut aktuellem Forschungsstand gibt es zahlreiche Auslöser für Essstörungen. Psychische Erkrankungen können die Anfälligkeit erhöhen, aber auch bestimmte Denkmuster wie Perfektionismus oder eine genetische Veranlagung. Jugendliche, deren Persönlichkeit sich erst noch entwickle und die oft Orientierung suchten, seien besonders verletzlich, sagt Giel. Diese Mischung begünstige Vorstellungen wie: „Ich bin nur wertvoll, wenn ich dünn bin“. Auch wollten in diesem Alter viele zu einer Gruppe gehören – und nutzten die Optimierung des eigenen Körpers als Vehikel dafür. „Die Sozialen Medien sind sicher nicht der alleinige Faktor – aber sie können ein entscheidendes Puzzle-Teil sein.“

Besonders hoch sei das Risiko für diejenigen, die großen Wert auf „Likes“ legten, gewissermaßen die Währung für Anerkennung bei Instagram, TikTok und Co. „Die Wichtigkeit, die ‚Likes‘ auf Social Media zugemessen wurde, war mit einem restriktiven Essverhalten und größerer Körperunzufriedenheit verbunden“, sagt Giel im Hinblick auf eine australische Studie. Eine andere aktuelle Studie habe wiederum gezeigt, dass sich Symptome von Essstörungen bei Studierenden deutlich reduzierten, wenn diese eine Woche lang auf Social Media verzichteten.

Nicht zu unterschätzen ist das Thema auch deshalb, weil Essstörungen in der Regel im Jugendalter entstehen. Junge Frauen sind deutlich häufiger betroffen als junge Männer; die drei häufigsten Essstörungen gelten als schwere psychische Erkrankungen. Anorexie, früher auch Magersucht genannt, und Bulimie, häufig erkennbar durch selbst herbeigeführtes Erbrechen, sind indes bekannter als die „Binge-Eating-Störung“: Betroffene leiden unter wiederkehrenden Essanfällen, die unabhängig von Hungergefühlen auftreten.

Expertin Giel sieht auch Hoffnungsschimmer. Zu Jahresbeginn hat etwa der Konzern Meta angekündigt, dass auf seinen Plattformen Instagram und Facebook keine Posts über Suizid, Selbstverletzung und Essstörungen von Kindern und Jugendlichen mehr angezeigt werden sollen. Zudem lasse sich vorbeugend etwas tun – vor allem Medienkompetenz ist laut Giel gefragt. Wichtig sei zu verstehen, wie die Plattformen funktionieren, aber ebenso den verbreiteten Einsatz von Bildbearbeitung oder die Interessen mancher Influencerinnen und Influencer. Es gelte auch, Körperideale kritisch zu betrachten.

Eltern können auf bestimmte Alarmzeichen achten, etwa verschwundene Lebensmittel aus dem Familien-Kühlschrank, Duftspray im Badezimmer, häufiges Wiegen. Darauf wies die Psychologin Tanja Legenbauer bei einer Veranstaltung der Zeitschrift „Psychologie Heute“ hin. Das Gespräch sollten Eltern suchen, wenn sie merkten, dass es ihrem Kind nicht gut gehe. Manche Erwachsene überdächten dann auch ihr eigenes Essverhalten oder ihren Umgang mit Konflikten, ergänzte die Familientherapeutin Nicola Hümpfner. Sorge um das betroffene Kind sei ebenso verständlich wie Ärger oder Schuldgefühle. Allerdings: „Das Kind am Tisch anzuschreien, bringt gar nichts.“