Wie Ben Becker Judas auf die Bühne bringt

Schauspieler Ben Becker setzt sich auf der Bühne mit der Figur des Judas auseinander, angelehnt an einen Roman von Walter Jens. Im Interview verrät er, was ihn am Verräter der Bibel fasziniert und warum ein Auftritt in einer Kirche etwas Besonderes ist.

Judas Ischariot ist bekannt als der Verräter der Bibel. Einen Selig­sprechungsprozess für ihn erfand Walter Jens 1975 für seinen letzten Roman. Daraus hat Schauspieler Ben Becker eine Performance gemacht, die er im Berliner Dom zeigen wird, der wichtigsten evangelischen Kirche der Hauptstadt. Benjamin Lassiwe hat mit ihm gesprochen.
Herr Becker, was fasziniert Sie an der Figur des Judas?
Ben Becker: Wer ist Judas? Das weiß ich nicht. Ich habe eine Vorlage von dem genialen Literaten Walter Jens vor mir, der mir eine Figur vorstellt: Judas. Und diese Figur fragt: Wer bin ich? Was bin ich? Und warum? Und das fasziniert mich, diese Art von Infragestellung seiner selbst, auf eine so existenzielle Art und Weise. Ich will fragen: Wen oder was habe ich verraten? Warum habe ich Recht getan oder nicht? Das in den Raum zu stellen, das interessiert mich. Die Antwort darauf kann ich Ihnen aber nicht geben.
Wer kann die Antwort geben?
Ich glaube nicht, dass da irgendwer eine Antwort drauf hat. Außer Frau von der Leyen, die der Ansicht ist, dass das neue MG5 von Heckler und Koch nicht funktioniert. Aber ich fände es nahezu blasphemisch und überheblich, wenn ich mich aus dem Fenster hängen und sagen würde, ich habe die Antwort. Für mich persönlich gibt es nur kleine Antworten: mein Garten, mein Hund, mein Pferd, meine Tochter.
Was reizt Sie so sehr an solchen Themen?
Als Künstler, als theatralischer Mensch, finde ich, dass es das Schönste an unserem Beruf ist, die Art und Weise, wie wir Menschen leben, zu hinterfragen. Es geht darum, wie wir mit diesem uns gegebenen Planeten, unserem Stern, umgehen. Das ist die wichtigste Aufgabe der Kunst, wenn man sie ernst nimmt. Wenn man sie nicht so ernst nimmt, kann man sein Bild auch gerne in der Vorhalle der Commerzbank aufhängen, dann ist es Musik, die beim Bügeln nicht stört. Aber das interessiert mich nicht. Mich interessiert Till Eulenspiegel, der über das Drahtseil tanzt.
Sie treten in einer Kirche auf. Was bedeutet Ihnen dieser Ort?
Es ist eine ganz andere Aufgabe. Die Auseinandersetzung mit einer biblischen Figur im Haus Gottes – wobei für mich ein Theater durchaus auch etwas Kathedralisches hat – hat einen besonderen Reiz. Sich im Hause des Herrn mit biblischen Themen auseinanderzusetzen, mit biblischen Figuren, macht alles vielleicht etwas provokant und größer. Hätte man mir eine Inszenierung im Deutschen Theater angeboten, wäre diese Inszenierung vielleicht anders ausgefallen.
Worauf nehmen Sie in einer Kirche Rücksicht?
Man darf eine Kirche meiner Meinung nach nicht verlogen und nicht schlechten Herzens betreten. Man darf in einer Kirche alles machen. Man darf auch „Scheiße“ sagen, solange man reinen Herzens ist. Ich habe mir einmal in einer Kirche ein einziges Mal blasphemischerweise eine Zigarette angesteckt und habe mich hinterher dafür vielfach und oftmals entschuldigt, weil man das nicht macht. Wenn man eine Kirche betritt, hat man ehrlich und unverlogen zu sein – und dann darf man aber in diesem Haus jede Frage der Welt stellen.
Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Ja. Ich bin ein gläubiger Mensch. Aber meine Definition von „Wer oder was ist Gott“ bleibt bei mir. Über diese Definitionsfrage haben sich die Menschen über Jahrtausende den Schädel eingeschlagen. Da werde ich mich nicht aus dem Fenster lehnen und Stellung beziehen.
Was fasziniert Sie am Bösen?
Uns alle fasziniert das Böse. Als kleine Kinder haben wir im Puppentheater auf das Krokodil gewartet. Ohne Krokodil kein Kasper und keine Oma. Dann wäre doch die ganze Show langweilig. Deswegen warten beim „Jedermann“ alle auf den Tod.
Und Judas?
Er ist eigentlich eine traurige Figur und wurde in Mitleidenschaft gezogen. Er wurde zum Täter, ohne eigentlich Täter sein zu wollen. Jonas sagt: Nein, ich verkünde nicht, weil er Angst hatte vor dem, was kommt, wenn er verkündet. Judas konnte sich nicht drücken. Er hatte ein Gebot, von oben.
Was heißt das?
Ich habe einen Freund, den man mit 19 in das Kosovo geschickt hat, der hat ein Trauma. Der ist zum Mittäter gemacht worden. Dafür hat er meinen Respekt, meine Sympathie und mein Mitgefühl. Und jetzt versuche ich, Judas in den Arm zu nehmen und das den Menschen zu vermitteln und darauf hinzuweisen, dass sie eigentlich davon die Finger lassen sollten, Menschen zu Mittätern zu machen.

Info

„Ich, Judas“: Der Auftritt findet an drei Abenden statt: am 18., 19. und 22. November im Berliner Dom. Beginn ist jeweils um 20 Uhr.
Tickets gibt es unter Telefon 030 / 20 26 91 36 oder hier.