Wenn Kinder kriminell werden
370 Straftaten soll eine Gruppe Heranwachsender im Raum Karlsruhe begangen haben. Der Haupttäter war noch nicht strafmündig. Warum die Gesellschaft bei jungen Tätern an die Grenze kommt.
Einbrüche, Diebstähle, Vandalismus bis hin zu Gewalt gegen Menschen: Wenn Kinder kriminell werden, ist die Gesellschaft schockiert, Eltern sind verzweifelt, die Opfer fassungslos vor Wut. Zuletzt ging eine Einbruchsserie von Kindern und Jugendlichen mit 370 Straftaten im Raum Karlsruhe durch die Medien, im August schreckte ein Strafunmündiger in Hamburg die Behörden auf.
Für Täter, die jünger als 14 Jahre und damit strafunmündig sind, gibt es in Deutschland keine geschlossene staatliche Einrichtung, die zu deren Aufnahme verpflichtet ist. „Es sind nur sehr wenige, die es betrifft, aber da klafft eine Lücke“, sagte der Karlsruher Jugendrichter Martin Schacht dem Evangelischen Pressedienst (epd) bei einem Pressegespräch von Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendbehörden der Stadt und des Landkreises Karlsruhe. Hintergrund waren die öffentlich gewordenen Taten von acht Kindern und Jugendlichen zwischen 2021 und 2024 im Raum Karlsruhe.
Strafunmündig: Haupttäter gerade mal 13 Jahre alt
Ein heute 13-jähriger Haupttäter hatte zusammen mit einem ebenfalls Strafunmündigen und mehreren Jugendlichen Einbrüche in Bädern, Pizzaservices und in Autohäusern verübt. Laut Polizeipräsidium Karlsruhe waren sie unter anderem in Autohäuser eingebrochen, hatten Autoschlüssel gestohlen und seien mit den Autos durch die Stadt und den Landkreis gefahren. Die Fahrzeuge wurden – meist schwer beschädigt – irgendwo abgestellt.
Die beiden strafunmündigen Kinder und die zwei über 14 Jahre alten Jugendlichen seien inzwischen in geschlossenen Einrichtungen untergebracht, betonte Sozialbürgermeister Martin Lenz. „Was wir jetzt gehört haben, können wir fast nicht lösen“, schilderte Lenz die Schwierigkeit, delinquente Strafunmündige unterzubringen. Wo die Täter untergebracht sind, wird aus Gründen des Personenschutzes nicht bekannt gegeben, sagt die Polizei.
Geschlossenes Heim hat 500 Anfragen für acht Plätze
Schätzungsweise 200 geschlossene Plätze gibt es deutschlandweit für jugendliche Delinquenten. Betreiber sind meist private und kirchliche Träger, wie die Diakonie Baden an der Niefernburg in Niefern-Öschelbronn. Ihre Arbeit ist ein kleiner, aber zeit-, kosten- und arbeitsintensiver Bereich der Jugendhilfe, der ein Schattendasein führt.
Das Angebot ist gering, die Nachfrage groß. „Wir sind überangefragt“, sagt der Geschäftsführer der Jugendeinrichtung Schloss Stutensee, Jens Brandt. Die Einrichtung des Landkreises Karlsruhe hält acht Plätze in einer „individuell geschlossenen Wohngruppe“ für Jungen von 11 bis 15 Jahren vor. Für die „individuell geschlossene Gruppe“ erhalte er rund 500 Anfragen pro Jahr aus ganz Deutschland, sagte er.
Laut Statistik ist 2023 bundesweit die Zahl tatverdächtiger Kinder unter 14 Jahren im Jahresvergleich um zwölf Prozent auf rund 104.000 gestiegen, die der Jugendlichen um 9,5 Prozent auf rund 207.000. Bereits 2022 wurde ein starker Anstieg in beiden Gruppen festgestellt.
Strafvollzug greift erst ab 14 Jahren
Brandt sieht in den nächsten Jahren „riesige Probleme“ kommen. „Elternhäuser funktionieren nicht mehr, weil Vater und Mutter arbeiten, kein familiäres Umfeld da ist“, sagte er. Posts in sozialen Medien gaukelten ein Bild von einem erfolgreichen Leben vor, das der Realität der Kinder nicht entspreche.
Das Angebot der Jugendhilfe ist eine „Hilfe zur Erziehung“. Nicht zu verwechseln mit Einrichtungen des Strafvollzuges, der erst ab dem Alter von 14 Jahren greift. „Jugendhilfe ist immer ein freiwilliges Angebot an die Eltern“, betont die Bereichsleiterin der geschlossenen Gruppe in Schloss Stutensee, Sabine Haid.
Teddys im Knast
Ziel der stationären Erziehungshilfe ist nicht Strafe, sondern die Sicherstellung pädagogisch-therapeutischer Einwirkungsmöglichkeiten. Es komme ein „bunter Blumenstrauß“ an Jugendlichen, so Haid – von Schulverweigerern über Kinder mit selbstgefährdendem Verhalten, Traumatisierungen. Alle jedoch hätten Probleme mit dem Selbstwert.
Trotz zunehmend jüngerer Straftäter erteilen Schacht, Brandt und Haid einer Herabsetzung der Altersgrenze für die Strafmündigkeit eine Absage. Isolation im Kindesalter wirke sich „verheerend“ aus, so die Pädagogen. Besser als ein Kindergefängnis seien mehr geschlossene Einrichtungen der Jugendhilfen. „Die Kinder brauchen ja noch Teddys im Knast“, sagt Brandt.