Wenn die Angst regiert

Anteilnahme und Hilfsbereitschaft sind wichtig. Aber trotzdem darf auch in Krisen Freude noch sein

Kürzlich wurde ich gefragt, ob man noch Spaß haben darf. Jetzt, wo Krieg herrscht in Europa. Natürlich darf man. Es sei sogar wichtig, sagen Expertinnen und Experten. Wer sich rund um die Uhr grämt, verliert Kraft und tut sich und anderen nichts Gutes. Wem es gelingt, abzuschalten von den schrecklichen Nachrichten, der sollte dabei kein schlechtes Gewissen haben. Im Gegenteil: Sport, Musik, Natur, Filme oder Bücher helfen, in Krisen die psychische Gesundheit zu erhalten. Die Frage ist vielleicht eher, wie man es denn hinbekommt, sich nicht verrückt machen zu lassen.

Ich habe es selbst erlebt: Kurz vorm Schlafengehen las ich auf Twitter „live“ von den Kampfhandlungen am ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Das war ein Fehler. Das Smartphone hätte ausgeschaltet bleiben sollen, denn nun war ich mitten in der Nacht aufs Äußerste beunruhigt.

Klar, wer sich gar nicht informiert, verschließt die Augen vor der bitteren Wirklichkeit. Aber es kann auch ein „zu viel“ geben. Gute Bekannte haben mir von Angst- und Schlafstörungen berichtet. Das hilft niemandem. Es braucht vermutlich bewusste Auszeiten vom News-Ticker, um den Alltag gut bestehen zu können. Die so gewonnene Zeit und Energie können dann hilfreich genutzt werden.

Menschen spenden Geld für die Ukraine, wollen den Flüchtenden helfen. Manche nehmen Familien in ihren Wohnungen oder Gemeindehäusern auf. Andere gehen auf die Straße, demonstrieren oder versammeln sich zu Friedensgebeten. Das Video, auf dem Tausende vor dem Brandenburger Tor „Donna nobis pacem“ singen, verbreitete sich in Windeseile im Internet. „Schenke uns Frieden!“, dieses gesungene Gebet rührt die Menschen an. Im Gottesdienst am Sonntag hatte ich bei dem schlichten liturgischen Ruf „Herr, erbarme dich“ einen Kloß im Hals. Und als der Organist zum Ausgang „Imagine“ von John Lennon spielte, lief manche Träne bei den Gottesdienstteilnehmern.

Viele sind dünnhäutig in diesen Wochen. Eine Freundin sagte mir dieser Tage am Telefon, ihr ganzes Wertesystem gerate durcheinander. Dazu die Angst vor einer Eskalation des Krieges. Die Bedrohung durch Atomwaffen, die in den 80er Jahren allgegenwärtig war, schien überwunden. Der kalte Krieg und die mörderische Aufrüstung waren vorbei.

Aber die Sicherheit, in der man sich in Deutschland wähnte, war trügerisch. Krieg gab es immer, in vielen Ländern dieser Welt. Nur waren die NATO und der Westen nicht direkt bedroht. Das ändert sich jetzt und macht Angst, vermischt mit schrecklichen Bildern aus der Ukraine, die eben nicht nur gezielte Angriffe auf militärische Ziele zeigen, sondern Verletzte und Tote, zerstörte Wohnhäuser und mehr als eine Million Flüchtende.

All diese Eindrücke müssen verarbeitet werden. Und dazu gehört das Gespräch, auch das Gespräch mit Gott. Christinnen und Christen beten, zünden Kerzen an. Menschen tauschen sich über ihre Sorgen und ihr Entsetzen aus. In der Schule, in der Familie, im Freundeskreis, aber auch an der Tankstelle und im Supermarkt.

Es ist zu spüren: Kaum jemand, den die Weltlage kalt lässt. Was allerdings nervt: Wenn Menschen sich über andere empören, weil jeder eben anders mit der Situation umgeht. Hier gibt es kein richtig oder falsch. Wer auch mal Spaß haben möchte, darf eben Spaß haben. Ernst ist die Lage so oder so.