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Wenn der Himmel gegen Syphilis und Blasensteine kämpft

Schon im Mittelalter gab es “Fachleute” gegen Syphilis & Co. – doch die trugen keine Kittel, sondern Heiligenschein. In Paderborn feiert man nun einen von ihnen besonders groß.

Am Wochenende ist es wieder so weit: Paderborn feiert seinen Schutzpatron, den Heiligen Liborius. In einem der vielen Festlieder heißt es vielsagend: “Du großer Hirt und Gottesmann, Liborius, halt für uns an / Auf dass nicht Grieß und Nierenstein die Strafen unsrer Sünden sein!” Was steckt dahinter? Die Wissenschaftler Marie-Isabelle Schwarzburger, Friedrich H. Moll und Felicitas Söhner sind dieser Frage auf den Grund gegangen.

Wer denkt, Urologie sei reine Hightech-Medizin, irrt gewaltig. Schon im Mittelalter hatten die Menschen ihre ganz eigenen Spezialisten gegen Schmerzen beim Wasserlassen, Harnsteine oder damals gefürchtete Geschlechtskrankheiten. Doch diese Experten trugen keine weißen Kittel, sondern Heiligenschein.

Diese Schutzheiligen hatten klare Zuständigkeiten. Für fast jedes Leiden gab es einen passenden Fürsprecher. Auch für Blase, Nieren und gegen die sogenannte “Lustseuche” Syphilis und Co. gab es himmlische Fürsprecher, schreiben die Historiker in ihrem 2021 bei Springer erschienenen Aufsatz “Heilige und die Urologie”. Wer genau für was zuständig war, konnte zwar variieren, aber ein paar Namen haben sich tief ins kollektive Gedächtnis gebrannt – darunter die am Rhein verehrten Liborius, Rochus, Apollinaris und Dionysius.

Wenn es beim Wasserlassen brennt oder Harnsteine das Leben zur Hölle machen, ist ein Name ganz vorn dabei: Liborius von Le Mans. Liborius war im 4. Jahrhundert Bischof in Frankreich. Die Verehrung des Heiligen explodierte förmlich, als seine Gebeine nach Paderborn überführt wurden. Dort wird er bis heute gefeiert – samt Riesenvolksfest. Der Legende nach wurde im 13. Jahrhundert ein Erzbischof von Mainz bei einer Wallfahrt nach Paderborn von seinem Steinleiden geheilt. Kein Wunder, dass man Liborius seitdem in ähnlichen Fällen zu Rate zog. So wurde er zum inoffiziellen “Schutzpatron der Urologen”.

Auf diesen Zuständigkeitsbereich verweisen auch die Attribute seiner Heiligendarstellungen: In der Hand trägt der Gottesmann drei kleine Steine. Sie sind eindeutiges Symbol für das, wogegen er helfen soll.

Rochus von Montpellier ist ein Superstar unter den Nothelfern. Doch weil Geschlechtskrankheiten früher ebenfalls als “Seuchen” galten, wurde er bald auch zum Schutzpatron gegen Syphilis und Co. umfunktioniert.

Sein Leben klingt wie ein Drama: adeliger Erbe, dann freiwilliger Armutspilger, Pfleger von Pestkranken, selbst erkrankt, wundersam geheilt – und dann unerkannt im Kerker gestorben. Sein Kult boomte besonders in Zeiten großer Epidemien – auch in Deutschland. Daher tragen oft Krankenhäuser sein Patrozinium. In Köln, Düsseldorf und Bingen wurden eigene Rochus-Kapellen gebaut. Sein Gedenktag, der 16. August, wurde zum Wallfahrtstag. Bei Bingen feiert man beispielsweise ein großes Rochusfest.

Apollinaris von Ravenna ist ein echter Tausendsassa. Man ruft ihn an bei Kopfschmerzen, Gicht, Nierensteinen und Geschlechtskrankheiten. Die Legende sagt: Er war Schüler des Apostels Petrus und erster Bischof von Ravenna. Später kam sein Kult nach Deutschland und schlug besonders in Remagen und Düsseldorf Wurzeln. Dort werden seine Reliquien jedes Jahr in einer feierlichen Prozession umhergetragen. Und pünktlich zum Namenstag findet die “größte Kirmes am Rhein” statt. Gut, dass Apollinaris auch bei Kopfschmerzen helfen soll.

Der Vierte im Bunde ist der Heilige Dionysius von Paris. Er gehört zwar nicht zur medizinischen Promi-Liga wie Rochus, ist aber trotzdem nicht zu unterschätzen. Seit dem Spätmittelalter gilt er als Helfer gegen Geschlechtskrankheiten, und das aus gutem Grund: Die Menschen glaubten, er könne helfen, wo die Medizin versagte. Besonders in Krefeld wird Dionys verehrt. Dort taucht er sogar im Stadtwappen auf. Seine Popularität stieg rasant, als die Syphilis im 15. Jahrhundert Europa heimsuchte. Damals wurde er zur letzten Hoffnung gegen das, was man nur verschämt “Lustseuche” nannte.

Ob Harnsteine, Inkontinenz oder unangenehme Erinnerung an verbotene Abenteuer – früher rief man nicht nur den Arzt, sondern auch den passenden Heiligen an. Liborius für Nierensteine, Rochus bei Seuchen aller Art, Apollinaris für alles Weitere und Dionysius als diskreten Helfer im Notfall. Denn die Menschen vergangener Zeiten waren überzeugt: Ein bisschen Himmelsbeistand kann nicht schaden – auch fürs seelische Gleichgewicht.