Wenn der Herr nicht mehr durchgängig herrscht

Pfarrerin Angelika Weigt-Blätgen ist Vorsitzende der Evangelischen Frauen in Deutschland. Eines ihrer Herzensthemen: Die feministische Theologie. Ein Gespräch über Männer und Macht.

Weigt-Blätgen ist die Vorsitzende der Evangelischen Frauen
Weigt-Blätgen ist die Vorsitzende der Evangelischen FrauenEvangelischen Frauen in Deutschland

Sie mögen Fußball. Mussten Sie sich deswegen manchmal im Kirchenumfeld erklären?
Angelika Weigt-Blätgen: Eigentlich nicht. In Gremien, die lange sehr männerdominiert waren, war es eher ein Türöffner den Männern gegenüber (lacht).
Ich bin Anfang der 1980er Jahre in einer Phase in die Frauenarbeit gekommen, in der es viele Aufbrüche gab. Denn davor galten die Pastorinnengesetze: Pfarrerinnen verloren ihre Ordinationsrechte, wenn sie heirateten. Das war bis 1974 in Westfalen so. Als die Gesetze fielen, änderten sich die Bilder der Pfarrerinnen. Es kamen Frauen, für die Partnerschaft und Amt keine Gegensätze waren. Da gehörte es auch dazu, dass jemand wie ich sich für Fußball und Rockmusik interessierte.

Sie haben sich immer für Frauen in der Kirche engagiert. Wofür haben Sie am meisten gekämpft?
Was mir sehr wichtig war, lief unter dem Stichwort „Gewalt gegen Frauen“. Vor mehr als 34 Jahren haben wir in der Evangelischen Frauenhilfe ein Frauenhaus eingerichtet. Mir ging es darum, hinzuschauen, welche Strukturen, etwa patriarchale Zusammenhänge, häusliche Gewalt fördern und schützen. Zudem ging es mir um die Befreiungsaspekte der feministischen Theologie. Denn es gab große Ängstlichkeiten. Verlieren wir etwas? Beschädigen wir unseren Vatergott? Uns war bewusst, wenn wir hier genauer hinschauen und die Bibel anders lesen, macht das etwas mit uns und mit unseren Lebenszusammenhängen, mit unseren Familien, mit unseren Ehen. Es war eine große Herausforderung, möglichst sehr, sehr viele Frauen mitzunehmen. Das ist uns gelungen, weil deutlich wurde: Es will uns niemand etwas nehmen, es ist eine Bereicherung.

Immer mehr Pastorinnen und Pfarrerinnen gibt es in Deutschland. Verändert sich dadurch die Kirche?
Ich glaube, dass dadurch die Kirche ein anderes Gesicht und eine andere Seite zeigen kann: Ihre zugewandte Seite bei Taufe, Beerdigungen, in der Seelsorge. Aber das sind auch gewisse Klischees. Das ganze Bild vom Pfarrhaus hat sich grundlegend verändert: Früher hat die Pfarrfrau ihrem Ehemann den Rücken freigehalten, nun ist sie selbst im Beruf oder im Amt – und es geht um die Vereinbarkeit mit der Familie. Aber wir haben auch Kolleginnen, die von geschlechtergerechter Sprache meilenweit entfernt sind. Andere sprechen zwar geschlechtergerecht, versuchen aber nicht, dass geschlechtergerechte Denken in ihren Gruppen umzusetzen.

2010 schrieb der Theologe Friedrich Wilhelm Graf, dass das Pfarramt zu einem Frauenberuf werde, zumeist für Studentinnen aus nichtakademischem Elternhaus. Sie vermittelten das Bild vom „Kuschelgott“… Eine typische Kritik?
Das konnten wir nicht nachvollziehen. Ich glaube, dass jede feministische Theologin auch die andere Seite der Gottesbilder und der Gottesbeziehungen sieht. Dass sie sich auseinandersetzen mit Strafe und Rechtfertigung. Es gab auch Männer, die Bücher geschrieben haben wie „Gott ist ein Freund des Menschen“. Hinter dem „Kuschelgott-Vorwurf“ stand wohl die Angst um Kirche, Status. Und um die Deutungshoheit – und das ist eine Machtfrage.

Gibt es ein typisch feministisches Gottesbild?
Das gibt es nicht. Was typisch ist, ist, dass immer Alternativen angeboten werden. In der „Bibel für gerechte Sprache“ herrscht der Herr nicht mehr durchgängig
(lacht). Die Heilige, die Ewige oder Gott werden angeboten. Gott ist im Herrn, im Mann zu kurz gekommen. Es ist nicht das Ansinnen, das Bild zu ersetzen, sondern es zu erweitern.

Heute ist immer weniger die Rede von zwei Geschlechtern, sondern von vielen. Was bringt die Zukunft?
Es macht Sinn, Frauen Räume und Möglichkeiten zu erhalten. In unsere neue Satzung der Evangelischen Frauen in Deutschland wollen wir formulieren, dass Queerfreundlichkeit zu unserem Profil gehört. Denn es ist wichtig, dass wir nicht ausgrenzen. Es gibt viele Geschlechter und viele Orientierungen von Menschen.