Warum sagen Sie „feministische The*logie“, Frau Israel?

Carlotta Israel arbeitet als feministische Theologin an der Universität München. Warum sie von „feministischer The*logie“ spricht, das verrät sie im Interview mit Nicole Richter.

Frauen sollen sich beim Lesen der Bibel mehr angesprochen fühlen
Frauen sollen sich beim Lesen der Bibel mehr angesprochen fühlenUnsplash / Priscilla du Preez

Sie sprechen von dem Begriff „The*logie“. Wieso?
Carlotta Israel: Der Begriff The*logie lenkt bereits den Blick darauf, dass Gott nicht nur männlich sein kann, wie bei „ho theos“ aus dem Griechischen „der Gott“ schon anklingt. Deswegen verwendet ich das Gendersternchen in dem Wort The*logie.

Blicken wir einmal gemeinsam zurück: Wie ist Feministische The*logie entstanden? Wo liegen ihre Wurzeln?
Die Anfänge von Feministischer The*logie liegen in den USA und gehen mindestens bis ins 19. Jahrhundert mit der sogenannten „Women’s Bible“ zurück. Damit ist bereits ein Fokus benannt, den Feministische The*logie seit ihren Anfängen ausmacht, nämlich biblische Texte und die darin dargestellten und in der Tradition vermittelten Bilder von Frauen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu interpretieren. Seit den 1970/80er Jahren ist Feministische The*logie auch im deutschsprachigen Raum immer breiter diskutiert worden im Zusammenhang damit, dass sich auch gesellschaftlich Frauen auf den Weg machten, Rechte einzufordern und Zustände zu kritisieren.

Carlotta Israel (30) arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München
Carlotta Israel (30) arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität MünchenLMU München

Ist die Feministische The*logie „die Mutter“ der geschlechtersensiblen The*logien?
Das kann man so sagen. Ihren „Sitz im Leben“ hat Feministische The*logie darin, dass Menschen sich auf die Suche danach begeben, dass in der Bibel nicht nur „cis“- Männer vorkommen, die monogam mit Ehefrauen zusammenleben, nur diese lieben und diese dominieren. („Cis“ steht dabei für Personen, deren Geschlechtsidentität mit dem in der Regel anhand äußerer Merkmale vor oder unmittelbar nach der Geburt bestimmten Geschlecht übereinstimmt.)

Durch die Feministische The*logie wurden verschüttete Traditionen von Frauen aufgedeckt und Geschlechterbilder historisiert, also in ihrer Entwicklung in ihre Kontexte eingeordnet. Oder auch in der Systematischen Theologie werden Geschlechterbilder und ihre Auswirkungen auf und innerhalb der Gotteslehre oder der Anthropologie, der Lehre vom Menschen, behandelt. Es wurde auch mit überlegt, wie sich Gottesdienstsprache und -kultur so verändern kann, dass sich mehr Leute darin wahrgenommen wissen, zum Beispiel durch sprachliches Gendern.

Und welche Themen beschäftigen Sie derzeit in der Feministischen The*logie?
Für mich heute ist wichtig, dass feministische The*logie intersektional ist, das heißt, dass Mehrfachdiskriminierungen zum Beispiel aufgrund von Geschlecht und Rassifizierung oder Altersgruppe oder Milieuzugehörigkeit mitbedacht und mitbekämpft werden. Feministische The*logie hat Zugangsweisen entwickelt, Unterdrückung aufzudecken und gehört deswegen auch mit zur Befreiungstheologie. Indem Geschlechterbilder von ihrem Thron oder vielleicht in unserem Zusammenhang auch Altar genommen werden und kritisch beleuchtet wird, wie sie entstanden sind, werden Menschen jeden Geschlechts neue Möglichkeiten zur Identifikation geboten.