Weites Land

Die Vielfalt der Landeskirche ist groß. Ebenso wie die Fläche. Das Miteinander muss darum auch nach fünf Jahren noch wachsen, meint Landesbischof Gerhard Ulrich

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SCHWERIN  – Sie ist die jüngste der evangelischen Landeskirchen, aber inzwischen auch schon fünf Jahre alt. Am Pfingstsonntag 2012 schlossen sich nach langjährigen Diskussionen und Verhandlungen die ehemalige Nordelbische Kirche, die Landeskirche Mecklenburgs und die Pommersche Kirche zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) zusammen. Landesbischof Gerhard Ulrich (Foto) zog im Interview mit Michael Althaus eine Zwischenbilanz.

Herr Bischof Ulrich, das Gebiet der Nordkirche erstreckt sich von Sylt bis Usedom. Behalten Sie als Landesbischof überhaupt den Überblick über so eine riesige Fläche?
Natürlich ist es für mich als Landesbischof nicht möglich, überall gleichermaßen präsent zu sein. Trotzdem bin ich als Vorsitzender der Kirchenleitung natürlich sehr gut darüber informiert, was in den einzelnen Bereichen passiert. Die geistliche Leitung übe ich aber gemeinsam mit der Bischöfin und den Bischöfen in den drei Sprengeln der Nordkirche aus. Wir treffen uns regelmäßig im Bischofsrat. Und ich mache natürlich auch sehr gerne Gemeindebesuche, um mir vor Ort ein Bild zu machen.

Wie ist Ihr Eindruck: Sind die früheren drei Landeskirchen schon gut zusammengewachsen?
Ich bin total erstaunt, dass nach fünf Jahren überall das Bewusstsein da ist: „Wir sind Nordkirche“. Das heißt nicht, dass es nicht immer wieder auch mal Kritik gibt: an den langen Wegen, an einer natürlich mitunter noch empfundenen Unübersichtlichkeit. Aber grundsätzliche Kritik erlebe ich selten.

Die Nordkirche ist eine von zwei Landeskirchen, die Ost- und Westdeutschland verbindet. Eine große Herausforderung?
Natürlich. Aber gemäß unserer Verfassung wollen wir darauf achten, dass die unterschiedlichen Kulturen nicht verschwinden. So können wir die Stärken des jeweils anderen für das Leben der Kirche nutzen. Die mecklenburgische und die pommersche Kirche haben etwa die Berufsgruppe der Gemeindepädagogen sehr stark gepflegt und profiliert. Das ist ein Ansporn für die gesamte Nordkirche. Umgekehrt hat das starke Netz der Dienste und Werke, das die ehemalige Nordelbische Kirche mitbrachte, eine große Wirkung in den anderen Teilen der Nordkirche entfalten können. Wir empfinden also die Vielfalt der Kulturen zuallererst als einen Reichtum und als große Chance.

Wo liegen die größten Probleme beim Zusammenwachsen?
Ich möchte nicht unbedingt von Problemen sprechen, sondern von Herausforderungen. Dazu gehören natürlich die unterschiedlichen Kulturen. Für die Christen in Mecklenburg und Pommern hatten ihre damaligen Landeskirchen eine ganz andere Bedeutung. Sie waren so etwas wie ein familiärer Schutzrahmen für die Gemeinden. Die gemeinsame Landeskirche hat den Bezugsrahmen natürlich stark erweitert und zugleich neue Räume eröffnet. Es gilt, auch darin den eigenen Platz zu finden, neue Beziehungen zu knüpfen und Vertrautes weiter zu pflegen. Natürlich gibt es auch Abschiede von Gewohntem. Das ist immer schmerzhaft. Da geht es mir persönlich nicht anders. Wir sind immer noch auf dem Weg, eingefahrene Modelle zu überwinden und neue Modelle des Miteinanders zu gestalten.

Zum Beispiel versuchen Sie immer noch, sich auf ein gemeinsames Arbeitsrecht zu einigen?
An diesem Punkt zeigen sich auch die unterschiedlichen Kulturen von Ost und West. Die ehemalige Nordelbische Kirche geht seit jeher im Arbeitsrecht den sogenannten Zweiten Weg, bei dem Gewerkschaften mit am Verhandlungstisch sitzen. Die früheren Landeskirchen Mecklenburg und Pommern pflegen den Dritten Weg ohne Gewerkschaftsvertreter, aber mit Beteiligung der Mitar-beitenden. Die Erfahrung mit Gewerkschaften ist für viele ehemalige Westkirchler eine Bereicherung. In der ehemaligen DDR hatten die Gewerkschaften jedoch eine von der SED bestimmte politisch-ideologische Funktion und wurden daher in der Kirche sehr kritisch gesehen, mitunter sogar als Bedrohung empfunden. Das ist nicht so schnell zu überwinden. Wahrscheinlich tun wir gut daran, die alten Wege zu verlassen und nach einem eigenen Weg zu suchen. Mir liegt sehr am Herzen, dass wir zu Ergebnissen kommen.

Flächenmäßig sind die Nordkirche und das Erzbistum Hamburg fast deckungsgleich. Machen die ähnliche Größe und das vergleichbare Territorium den ökumenischen Dialog einfacher?
Eindeutig. Hier im Norden begegnen sich Partner, die offen sind für die Ökumene. Ich bin ganz begeistert davon, wie der Hamburger Erzbischof Stefan Heße und der neue Weihbischof Horst Eberlein die Zusammenarbeit suchen. Das wird in diesem Jahr, in dem wir mit vier herausragenden Ereignissen auch ökumenisch an die Reformation erinnern, besonders deutlich. Der Erzbischof und ich pflegen den kurzen Draht. Wenn es etwas zu besprechen gibt, dann rufen wir einander an. Stefan Heße ist ein ausgesprochen ökumenisch offener, und zugleich in katholischer Position klarer Partner. Das ist auch gut so. Denn Ökumene heißt ja nicht, dass alles egal ist, sondern dass wir Gemeinschaft suchen und praktizieren –  im Wissen um unsere unterschiedlichen Profile.

Ähnlich wie den katholischen Geschwistern steht auch der Nordkirche ein großer Nachwuchsmangel vor allem auch bei hauptamtlichen Mitarbeitern bevor. Wie gehen Sie damit um?
Wir sehen vor allem eine demographische Entwicklung, von der unsere ganze Gesellschaft betroffen ist – und damit auch alle Berufsgruppen: Geburtenstarke Jahrgänge treten in den Ruhestand, geburtenschwache Jahrgänge folgen. Das betrifft auch uns. Im Moment steigt die Zahl unserer Theologiestudierenden erfreulicherweise wieder etwas, aber nicht so stark, wie es eigentlich nötig ist. Zugleich werden wir künftig aber auch weniger Gemeindeglieder haben. Wir versuchen seit einigen Jahren durch eine eigene Arbeitsstelle am Predigerseminar in Ratzeburg, unter Schulabgängern für ein Theologiestudium zu werben. Zudem suchen wir nach Möglichkeiten, Pastorinnen und Pasto-ren berufsbegleitend auszubilden. Und auch die anderen Berufsgruppen müssen wir im Auge behalten.

Die Nordkirche ist bundesweit die flächenmäßig zweitgrößte Landeskirche. Wird man sich auf Dauer aus dieser riesigen Fläche zurückziehen und auf wenige Zentren beschränken müssen?
Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen Modelle finden, die eine kirchliche Grundversorgung auch in der Fläche weiterhin sicherstellen.

Wenn Sie einmal träumen dürfen: Wo steht die Nordkirche in weiteren fünf Jahren?
In fünf Jahren, so träume ich, ist die junge Generation in den leitenden Gremien der Nordkirche noch stärker präsent. Die Nordkirche ist nach wie vor eine starke Stimme in der Gesellschaft und bringt die Stimme des Evangeliums ein. Und es macht keinen Unterschied mehr, ob man in Hamburg, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern zu Hause ist.