“Irgendwas muss vorgefallen sein”, dessen war sich auch das Gericht sicher. Am Ende sah es sich aber nicht im Stande, ein Urteil zu fällen. So galt der Grundsatz “Im Zweifel für den Angeklagten”.
Als freier Mann hat ein der Vergewaltigung angeklagter Priester der Erzdiözese München und Freising am Mittwochabend den Prozesssaal im Münchner Amtsgericht verlassen. Trotz einer langen, ausführlichen Beweisaufnahme habe das Gericht am Ende doch begründete Zweifel gehabt, dass sich der Sachverhalt im Wesentlichen so zugetragen habe, wie er in der Anklageschrift stehe, sagte Richter Daniel Hinz als Begründung für den Freispruch. Er ordnete an, den 69-jährigen Angeklagten unter anderem für die Untersuchungshaft vom 9. Januar bis 5. November dieses Jahres aus der Staatskasse zu entschädigen. Diese hat auch die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Staatsanwaltschaft hatte den ursprünglich aus Bosnien-Herzegowina stammenden Priester beschuldigt, zwischen August 2018 und März 2019 eine 18-Jährige in der Wohnküche seines Pfarrhauses in einem oberbayerischen Dorf nordwestlich von München vergewaltigt zu haben. Die junge Frau habe den Seelsorger mit ihrer Mutter wegen eines Trauerfalls und weiterer Probleme in der Familie aufgesucht. Als die Mutter mit der Haushälterin des Pfarrers, die zugleich seine leibliche Schwester ist, den Raum verlassen habe, soll der Pfarrer die Gelegenheit genutzt haben, die 18-Jährige unsittlich zu berühren und mit den Fingern in sie einzudringen, so der Vorwurf.
Die Mutter gab später zu Protokoll, als sie wieder in den Raum zurückgekommen sei, den Eindruck gehabt zu haben: “Irgendetwas muss vorgefallen sein.” Dieses Zitat griff auch der Richter in seiner gut 20-minütigen Urteilsbegründung auf. Was genau das gewesen sei, “das lässt sich nicht wirklich feststellen”. Er wies auf mehrere deutlich unterschiedliche Aussagen der mutmaßlich Geschädigten hin, sei es in Bezug auf die Sitzposition von ihr und dem Pfarrer auf der Eckbank, sei es hinsichtlich der Details bei dem angeblichen Übergriff. Weiter habe sie angegeben, bei der Polizei vier Stunden vernommen worden zu sein; eindeutig belegt sei aber nur eine Stunde und zwanzig Minuten.
Der Prozess hatte am 22. Oktober begonnen. Seither hatten rund 20 Zeugen ausgesagt. Am letzten der drei Verhandlungstage berichtete ein Polizeibeamter davon, wie er im Dezember 2023 sowohl die Mutter als auch die Tochter vernommen hatte. Letztere sei ihm “absolut glaubwürdig” mit ihren geschilderten Darstellungen erschienen. Ebenfalls vernommen hatte er den Vater der Familie. Dieser habe eher nüchtern vom Schicksal seiner Tochter erzählt. In den vorausgegangenen Prozesstagen war bereits deutlich geworden, dass der Vater einen starken Zorn auf den Pfarrer hegte, weil er diesen beschuldigte, ein Verhältnis mit seiner Frau gehabt zu haben.
Bei den sich anschließenden Plädoyers forderte die Staatsanwaltschaft wegen erwiesenen Tatvorwurfs für den Angeklagten drei Jahre und neun Monate Haft ohne Bewährung. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch. Sie zog die Aussagen der mutmaßlich Geschädigten erheblich in Zweifel. Wahlverteidiger Ernst Fricke forderte das Gericht auf, ein Glaubwürdigkeitsgutachten eines anerkannten Berliner Forensikers von der Belastungszeugin erstellen zu lassen, was eine heftige Replik des Staatsanwalts zur Folge hatte. Dieser zeigte sich “erschüttert”, mit welchen Lügen versucht werde, Stimmung zu machen gegen die Frau und ihre zugegebenermaßen nicht einfache Familie. Dafür könne sie nicht in Sippenhaft genommen werden.
Der gesundheitlich angeschlagene Priester, der mittlerweile im Ruhestand ist, hatte den Prozess die ganze Zeit schweigend vom Rollstuhl aus verfolgt. Erst als ihm der Richter das letzte Wort gab, versicherte er seine Unschuld. Er habe noch nie so viele Lügen hören müssen. Wörtlich sagte der Geistliche: “Man vernichtet mich. Man macht die Kirche kaputt, nicht nur in Deutschland, sondern überall.”