Sich selbst ein guter Freund zu sein, fällt mitunter schwer. Davon ist der leitende Oberarzt der Reha-Klinik Glotterbad im Schwarzwald bei Freiburg, Christian Firus, überzeugt. In dem jüngst (15. September) im Patmos Verlag (Ostfildern) erschienenen „Selbstfürsorgebuch“ widmet der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie ein Kapitel der Bedeutung von Selbstmitgefühl.
„Viele Menschen mit psychischen Erkrankungen haben viel Mitgefühl für andere, aber nicht für sich selbst“, sagte Firus dem Evangelischen Pressedienst (epd). Selbstmitgefühl bedeute, eine freundliche, wohlwollende Haltung gegenüber sich selbst einzunehmen. „Das verhindert, dass ich mich bei Misserfolgen ständig kritisiere und kleinmache. Solche Selbstvorwürfe sind eine Quelle von Stress und Krankheit“, betont er.
Als Psychotherapeut und gläubiger Christ vereint Firus zwei Welten, die auf den ersten Blick gegensätzlich erscheinen: Theologie und Medizin. Nach dem Beginn des Theologiestudiums entschied er sich schon früh für einen Wechsel in die Medizin – und hat diese Entscheidung nie bereut: „Mein Anliegen war immer, beratend tätig zu sein, Menschen in seelischen Anliegen zu begleiten“, schildert er seine Berufung.
Seine Arbeit bleibt bis heute von einer tiefen christlichen Grundüberzeugung getragen. Gerade in der Psychotherapie werde selten gefragt, welche Kraftquellen Menschen Halt geben oder ob jemand einen Bezug zu einer spirituellen Dimension habe. „Das wird kaum thematisiert, wird aber zunehmend als Ressource erkannt und auch wissenschaftlich beforscht“, sagt Firus.
Diese „Wege zu seelischer Gesundheit“ will der Arzt und Autor aufzeigen. Verbundenheit, ein stabiles Selbstwertgefühl, Zugang zu den eigenen Bedürfnissen – neben körperlichen Grundbedürfnissen wie Essen, Trinken, Schlafen betont er, wie wichtig psychische Grundbedürfnisse sind. „Nicht erfüllte Grundbedürfnisse führen nicht automatisch zu Krankheit. Aber bei psychischen Erkrankungen finden wir fast immer, dass Grundbedürfnisse nur unzureichend erfüllt sind. Sie erhöhen die Verletzbarkeit und das Risiko für psychisches Leiden“, weiß der Psychotherapeut.
Die Zunahme psychischer Erkrankungen weltweit legt nahe, dass hier einiges im Argen liegt. Laut dem DAK-Gesundheitsreport 2024 hat die Zahl der Fehltage am Arbeitsplatz im Zehnjahresvergleich um 52 Prozent zugenommen. Als Ursachen macht Firus innerpsychische und gesellschaftliche Gründe aus.
Da sei einerseits der „innere Kritiker“, der permanent antreibe oder abwerte. „Das ist Stress pur – und Stress begünstigt unsere Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dagegen ist Selbstoptimierung, wie sie heute so verbreitet ist, oft eine subtile Form von Aggression gegen sich selbst“, sagt Firus.
Weiter erschwerten es ständige Vergleiche, Social Media und damit ein Optimierungszwang, Selbstmitgefühl als wichtigen Teil der Selbstfürsorge zu entwickeln. Statt harte Ansprüche zu erfüllen, sei es besser, Pausen zu machen, auch ein Scheitern zuzulassen – nach dem Motto „Fehler sind erlaubt, Durchhänger sind normal“.
Grundsätzlich zu unterscheiden ist laut Firus und der Herausgeberin des „Selbstfürsorgebuches“, Heike Hermann (Esslingen am Neckar), zwischen Selbstfürsorge und Wellness. Sich etwas Gutes tun wie ein duftendes Bad oder einen Cappuccino im Lieblingscafé sei Wellness, schreibt Hermann in ihrem Vorwort. Selbstfürsorge dagegen meine, sich um sich selbst zu kümmern und für sich einzustehen und ein Leben zu führen, das sich „stimmig“ anfühle.
Aus medizinischer Sicht ergänzt Firus: „Wellness ist oft kurzfristige Befriedigung – Dopaminkicks wie Achterbahnfahren oder ein Konzertbesuch. Das ist nicht falsch, aber eben nicht nachhaltig. Selbstfürsorge dagegen hat mit einer langfristigen inneren Balance und dem Serotoninsystem zu tun – also mit tiefer Zufriedenheit und Einklang mit mir selbst.“
Die Entwicklung von Selbstmitgefühl ist eines von zehn Kapiteln, denen sich die Autoren des Buches widmen. Die namhaften Therapeutinnen und Therapeuten geben Wissen weiter, etwa zum „Loslassen“ oder dem „Umgang mit schwierigen Menschen“. Gefühle wie Angst, Trauer, Wut kommen ebenso zur Sprache wie eine zuversichtliche und hoffnungsvolle Grundeinstellung. (2310/05.10.2025)