Was uns der Vietnam-Krieg lehrt

Vor 50 Jahren zogen sich die USA aus dem Vietnamkrieg zurück. Es blieben der Schock und die Lehre: Internationale Politik – das ist ein Sumpf. Ein Kommentar von Gerd-Matthias Hoeffchen.

US-Soldaten retten einen verwundeten Kameraden in Vietnam
US-Soldaten retten einen verwundeten Kameraden in VietnamImago

Mit dem Rückzug der USA aus Vietnam endete die Gewalt nicht; zwei weitere Jahre kämpften Nord- und Südvietnam gegeneinander. Aber Amerikas Rückzug war der Anfang vom Ende. Und das Eingeständnis einer Niederlage, die weit über das militärische Scheitern hinaus reichte: Der Krieg hatte Millionen Menschen das Leben gekostet. Und er wurde zum weltweiten moralischen Trauma. Denn er zeigte überdeutlich, wie rücksichtslos auch die USA logen und betrogen, töteten, folterten und vernichteten, wenn es um das eine Ziel geht: die eigenen Interessen durchzusetzen.

Ein Schock, der lange nachwirkte. Aber nicht lange genug.

Bis Vietnam mochten sich die US-amerikanische Bevölkerung und die westliche Welt der Illusion von den „guten Amerikanern“ hingegeben haben. Die USA galten als Weltpolizei, als Schutz für Moral, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Mit dem Vietnamkrieg wurde dieser Selbstbetrug entlarvt. Plötzlich war da die Erkenntnis: „Wir“, der Westen, und seine Supermacht USA, sind nicht automatisch „die Guten“. Unzweifelhaft begingen Nordvietnam und der Vietcong, unterstützt von China und Russland, Menschenrechtsverletzungen schlimmsten Ausmaßes. Aber: Südvietnam und die USA eben auch. Die Lehre: Internationale Politik – das ist ein Sumpf. Schmutz, Lüge und Verrat. Auf ALLEN Seiten. Es geht nie um Werte, immer um Interessen.

Vietnam wurde zum Weckruf

Jahrzehntelang arbeitete sich der Westen an diesem Trauma ab. Nachhaltig beeinflusste der Vietnamkrieg die 68er- und die Anti-Kriegsbewegung; Popkultur, Romane und Filme versuchten, den Schock zu verarbeiten. „Vietnam“ entwickelte sich zum Synonym für das Scheitern des Westens, seinen selbsterklärten Werte-Kanon halbwegs glaubwürdig vorzuleben. Der Krieg wurde zum Weckruf: Glaubt nicht alles, was eure Regierungen und, ja, leider, auch eure Medien euch verkaufen wollen. Seid kritisch – gerade, wenn es um Waffen und Gewalt geht, ums Zerstören und Töten.

50 Jahre später drohen Erinnerung und Botschaft zu verblassen. Afghanistan, Irak – wieder sind westliche Regierungen mit Lügen und gefälschten Beweisen in den Krieg gezogen. Und wieder glaubten wir, der Westen, diesen Lügen.

Was ist heute „das Richtige“?

Und heute? Der Krieg in der Ukraine? Das Fatale ist: Man wagt das kaum noch zu beurteilen. Wir wollen das Richtige tun. Aber was ist „das Richtige“?

Es mag Situationen geben, in denen Waffen als Ultima Ratio erscheinen, als allerletzter Ausweg. Aber wenn der Vietnamkrieg eines gelehrt hat, dann dies: Fragt lieber dreimal nach, wenn es wieder heißt, wir müssten westliche Werte durch Krieg verteidigen.