Was Kirche und Karneval gemeinsam haben

Der Karneval hat eine wechselvolle Geschichte, ebenso wie die Kirche. Beide stehen vor ähnlichen Aufgaben, wie unser Autor, der Pfarrer, Cartoonist und Karnevalsfan Holger Pyka herausgefunden hat.

Verkleiden, feiern, Spaß haben – Karneval hat für viele Menschen einen Reiz, egal ob auf privaten Partys oder bei den großen Karnevalsumzügen und Festen
Verkleiden, feiern, Spaß haben – Karneval hat für viele Menschen einen Reiz, egal ob auf privaten Partys oder bei den großen Karnevalsumzügen und FestenChristian Schwier

Ich werde oft gefragt, was Kirche und Karneval gemeinsam haben. Und ich würde spontan am liebsten irgendwas sagen vom fröhlichen Rollenwechsel, dass der Gottesdienst ein Ort ist, an dem ich vor Gott endlich jemand anderes sein kann als sonst. Oder dass Kirche und Karneval regelmäßig Partei für die Unterdrückten und Entrechteten ergreifen und den Mächtigen den Spiegel vorhalten.

Die Wahrheit ist aber, wie so oft im Leben, differenzierter. Oder komplizierter. Und vielleicht ist die größte Gemeinsamkeit von Kirche und Karneval, dass bei beiden Anspruch und Wirklichkeit oft weit auseinanderklaffen.

Karnevalssitzungen sind wie Gottesdienste

Kirche, insbesondere im sonntäglichen Gottesdienst, erinnert mich manchmal an den sogenannten Sitzungskarneval, der dank WDR, RTL und SWR als „Mainz, wie es singt und lacht“ oder „Kölle Alaaf“ seit den 1960ern die Republik erobert. Da gibt es eine festgelegte Liturgie und klare Rollen; Musik­auswahl und sowohl die Themen als auch die Schmerzgrenzen der Wortbeiträge bemessen sich an den Vorlieben der gutbürgerlichen Mehrheit.

Ich streite gar nicht ab, dass viele Karnevalssitzungen mit viel Herzblut und Sinn und Verstand vorbereitet werden, und viele Gottesdienste natürlich auch. Und trotzdem bleibt oft die Diskrepanz zwischen einer behaupteten Freiheit, Leichtigkeit und Feierlichkeit und der erlebten Gewolltheit und Schwere.

Karneval, Kirche und sexueller Missbrauch

Kirche und Karneval stehen auch vor gemeinsamen Aufgaben. Die #metoo-Welle hat den Karneval, anders als andere Kultursparten, gar nicht richtig erreicht, und wir Evangelischen haben mit unserer eigenen Forum-Studie alle Hände voll zu tun. Beide stehen in der Pflicht, sich selbstkritisch zu fragen, ob und wie ihre jeweiligen Eigenheiten sexualisierte Gewalt nicht nur ermöglichen, sondern auch fördern und legitimieren.

Keine Einsicht ohne Durchblick: Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ist Thema im diesjährigen Kölner Rosenmontagszug
Keine Einsicht ohne Durchblick: Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ist Thema im diesjährigen Kölner Rosenmontagszugepd-Bild/ Guido Schiefer

Ähnliche Parallelen gab es in der NS-Zeit und in der Zeit danach: Der organisierte Karneval und der Protestantismus­ waren ziemlich gut darin, sich im Nachhinein zu Speerspitzen des Widerstands gegen das Regime zu machen. Die Wahrheit sah deutlich anders aus: Im Kölner Karneval waren schon Ende der 1920er Jahre jüdische Menschen fast gänzlich aus den Vereinen ausgeschlossen. Und dass unsere Rolle als Kirche im NS-Staat alles andere als glanzvoll war, ist mittlerweile hoffentlich allen bekannt. Bis heute haben Kirche und Karneval ihr kolonialistisches und manchmal geradeheraus rassistisches Gepäck noch nicht aussortiert, und beide erweisen sich in dieser Hinsicht manchmal als ähnlich zäh und wenig lernbereit.

Spontanes und ausgelassenes Feiern ohne Behörden kaum möglich

Trotzdem arbeite ich gern in der Kirche, und ich feiere auch gern Karneval. Ich gebe offen zu, dass mir die langsame und institutionelle Seite manchmal schwerfällt, und ich habe oft deutlich mehr Spaß an dem, was ungeplant, überraschend und anders ist. Aber ich bin nicht übertrieben blauäugig, und da habe ich tatsächlich etwas vom Karneval für die Kirche gelernt: Die spontanen und ausgelassenen Seiten des Karnevals, das ungezwungene Feiern auf den Straßen und in den Kneipen, all das wird dadurch erst ermöglicht, dass sich städtische Behörden und karnevalistische Institutionen zusammensetzen und einen Rahmen dafür gestalten.

Fachingsorden des Stadtprinzenpaars aus Osnabrück
Fachingsorden des Stadtprinzenpaars aus Osnabrückepd-bild / Detlef Heese

In Köln, wo ich herkomme, wird für ein paar Tage eine umfassende Infrastruktur geschaffen, vom Dixiklo­ bis hin zur Glasverbotszone, um das jecke Treiben möglichst geschmeidig zu machen. Wenn ich also in meinem Dschungelcamp-Outfit mit einem rosa Einhorn rechts und einer Biene Maja links schunkele, dann vor allem, weil andere das ermöglichen.

Die Stabilität der Amtskirche ermöglicht vieles an Spontanität erst

Auf diesem Weg habe ich mich auch mit der Kirche als Institution ausgesöhnt, zumindest in Teilen. Ich verstehe, dass vieles an Spontanem und Neuem, für das auch in der Kirche Platz sein muss, durch die Stabilität der Amtskirche ermöglicht wird. Und ich würde mir wünschen, dass wir diesen Rahmen öfter nutzen, so lange wir noch können.

Die wechselvolle Geschichte des Karnevals erinnert mich auch daran, dass es irgendwie weitergeht. Nach den beiden Weltkriegen lag das organisierte Vereinsleben brach, aber bald nach den ersten Kriegsjahren erhoben sich die Jecken aus den Trümmern und feierten weiter, zum Teil ohne behördliche Genehmigung, auf jeden Fall ohne schützende Dachorganisation, und bereiteten so einer karnevalistischen Renaissance den Weg. Übrigens gegen alle möglichen Widerstände – lassen Sie sich bloß nicht erzählen, dass nur die Protestanten gegen den Karneval waren, die katholische Kirche genauso, und sogar die Sozialdemokraten waren damals mit von der Partie.

Kein Fan vom Karnevalsgottesdienst

Und ich habe die Hoffnung, dass es diese Energie auch geben wird, wenn irgendwann mal von unserer ehemals so stolzen Institution „Volkskirche“ nur noch wenig übrig ist. Dass auch dann die Christinnen und Christen sich aus den Trümmern erheben und munter weiter Brot brechen und beten und segnen und diese wundersame Geschichte vom heruntergekommenen Gott erzählen.

 

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Zu einem Karnevalsgottesdienst gehe ich übrigens nicht dieses Jahr. War ich auch, glaube ich, bislang sehr selten, und dann meist zu Forschungszwecken. Mir geht es mit Karneval und Gottesdienst ein bisschen so wie mit Frikadellen und Berliner Ballen: Ich mag beides gern, aber warum sollte ich es mir auf einmal in den Mund stopfen wollen?

Keine Masken, nur Kostüme

Aber weil ich mich wissenschaftlich damit beschäftigt habe, fragen mich manchmal Kolleginnen und Kollegen nach Tipps für solche Gottesdienste. Ich sage dann immer: Nichts mit Masken, auch, wenn man das aus den alten kirchlichen Anti-Karnevals-Kampagnen vielleicht noch kennt, „Gott sieht hinter deine Maske“ und so.

Im Karneval, so wie er im Westen und Norden gefeiert wird, gibt es nämlich keine Masken im strengen Sinne. Nur Kostüme. Weil die Jecken sich in ihrer Verkleidung nicht verstecken, sondern erkennbar bleiben und zeigen wollen: Guckt mal hier, so kann ich auch sein! Und jetzt komme ich doch zu meiner Anfangsüberlegung zurück und denke: Das wünsche ich mir für den Gottesdienst, und zwar nicht nur in der Karnevalszeit. Ich möchte dort eine Ahnung davon bekommen, dass ich unter Gottes freundlichem Blick noch mehr und anders bin als im Alltag.