Was den Unterschied ausmacht

Über Rheinländer und Norddeutsche schreibt Pastor Tilman Baier. Er ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.

Der Predigttext des kommenden Sonntags lautet: „Darum so gegürtet die Lenden eures Gemütes, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade.“ aus 1. Petrus 1, 13
Es war zu erwarten. Als ich mit meinem Tresennachbarn in der „Ständigen Vertretung“, der Heimweh-Kneipe aller Rheinländer, die es ins preußische Berlin verschlagen hat, ins Gespräch kam, fing er bald an zu nörgeln. Klar sei Berlin eine Metropole. Wenn nur nicht alles so nüchtern wäre! Es sei das ganze Lebensgefühl, das unterkühlt sei. Norddeutsche seien so wenig begeisterungsfähig, würden immer wie in einem Korsett herumlaufen, und richtig albern konnten sie auch nicht sein.
Es stimmt: Nüchternheit gilt unter uns als eine Tugend, die hoch geschätzt wird. Nicht nur, weil – wohl als Kehrseite der Medaille – die norddeutschen Regionen die größten Probleme mit Alkoholmissbrauch in Deutschland haben. Kritisch, ja skeptisch, abwartend, prüfend – so werden wir gesehen, sehen wir uns selbst gern. Und das prägt auch unser Dasein als Christen. Der Überschwang ist uns fern. Charismatiker, vom Geist Bewegte, haben es schwer unter uns. Lobpreisgottesdienste und Evangelisationen wie ProChrist, in der Mitte und dem Südwesten Deutschlands ein Renner in kirchlichen Kreisen, werden wegen ihrer gefühlsgeladenen Art kritisch beäugt. Nein, wir lassen uns nur unter Mühen dazu verführen, einmal die ständige Selbstkontrolle aufzugeben, uns einfach hineinzugeben in Emotionen, in Feste, in den Tanz.
Und der Schreiber des Petrusbriefes scheint uns recht zu geben: Leben, erst recht christliches Leben, soll nüchtern sein. Sollen Christen also vor allem kühle Skeptiker sein, die alle „Verlockungen der Welt“ sofort durchschauen und von sich weisen? Hat das Gefühl ausgedient, sollen wir nur noch auf den Verstand setzen? Doch damit hätte die Hoffnung, ohne die kein Mensch leben kann, keinen Platz mehr unter uns. Hoffnung braucht Vertrauen, auch gegen alle erdrückende Wirklichkeit.
Nein, der Schreiber des Petrusbriefes will uns nicht zu abgeklärten Skeptikern erziehen. Doch unsere oft so gefühlsbeladene Suche nach Hoffnung soll nicht ins Leere gehen. Er will, dass wir uns einlassen auf diesen Jesus, mit Gefühl und Verstand.
Unser Autor
Pastor Tilman Baier
ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.