Warum trotz ChatGPT der Liebesbrief nie aus der Mode kommt

Wie steht es im Zeitalter von ChatGPT & Co. um den guten alten Liebsbrief? Fachleute machen sich um das besondere Kommunikationsmittel nur wenig Sorgen.

Mit Tinte oder Tastatur - der Liebesbrief steht bei vielen Menschen noch immer hoch im Kurs
Mit Tinte oder Tastatur - der Liebesbrief steht bei vielen Menschen noch immer hoch im KursImago / Hanno Bode

Verzehrende Sehnsucht und innige Leidenschaft: Liebesbriefe sind ein besonderes Kommunikationsmittel. „In der Regel geht es um Gemeinsamkeiten: um vergangene Gemeinsamkeiten, die man erlebt hat, oder um künftige, die beschworen werden“, so fasst Veit Didcuzneit den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zusammen. Er leitet die Sammlung bei der Museumsstiftung Post und Telekommunikation in Berlin. Insgesamt sei der „Privatbrief“ zwar fast ausgestorben, doch gerade Liebesbriefe gebe es weiterhin.

Das beobachtet auch Eva Lia Wyss. Die Sprachwissenschaftlerin hat das Liebesbriefarchiv gegründet, das seit 1997 entsprechende Dokumente sammelt. Vor allem zu besonderen Anlässen wie Jahrestagen schreiben die Menschen nach ihrer Einschätzung noch Liebesbriefe – auch wenn sie häufig nicht mehr per Post verschickt werden, sondern auf elektronischem Weg oder auch persönlich übergeben werden. Als entscheidendes Kriterium betrachtet Wyss weniger das Medium, sondern die Form, also Anrede, Grußformel und inhaltlichen Teil.

Gute Liebesbriefe sollten eine Botschaft übermitteln

Viele Menschen nutzten besondere Stilmittel, wenn sie ihre Liebe ausdrücken wollten, etwa Kalligrafie oder einen aufwendig gestalteten Brief. Entscheidend ist aus Sicht von Didczuneit indes, ob die Botschaft „ankommt“. Das könne auch bei einer schnell geschriebenen Notiz der Fall sein: „Ideal ist ein Liebesbrief dann, wenn er erfolgreich ist für diejenigen, die ihre Liebe gestehen, bekräftigen oder neu entflammen wollen.“ Der Experte erinnert an jene Briefchen, die man einander in der Schule zugesteckt hat – die viele Menschen durchaus lange aufbewahrten.

 

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In der Sammlung der Stiftung liegt ein Schwerpunkt indes auf Schreiben mit ernsterem Hintergrund: auf Feldpost aus dem Zweiten Weltkrieg. „Das war gewissermaßen die größte Briefschreibe-Aktion des 20. Jahrhunderts“, sagt Didczuneit. Und: „Viele Feldpostbriefe sind Liebesbriefe.“ Die Dokumente, vielfach unter widrigsten Umständen verfasst, entstanden zudem eher nicht in der Absicht, sie eines Tages zu veröffentlichen.

Für Wyss ist das ein großer Unterschied zu den „großen“ Liebesbriefen, die man etwa von Dichtern und Schriftstellerinnen kennt. „Sie wurden oftmals nicht nur für den Empfänger oder die Empfängerin verfasst, sondern mit Blick auf ein Publikum.“ Die rund 25.000 Briefe aus 52 Ländern und vier Jahrhunderten, die im Koblenzer Archiv bislang gesammelt wurden, seien dagegen „ein großer Schatz an sprachgeschichtlichen Quellen“, gerade weil sie die „Alltagswirklichkeit des Schreibens“ zeigten.

Die Liebe verschlägt einem bisweilen den Atem – und die Sprache

Nicht nur die Geschichten mancher Liebesbrief-Ghostwriter wie Cyrano de Bergerac wurden daher berühmt; auch gab es lange den Beruf des Briefstellers, und zahlreiche Bücher und Websites geben Tipps für gelungene Briefe und Formulierungen. Heute suchen Menschen auch bei Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI), etwa bei ChatGPT, nach Anregungen. „Ein KI-generierter Brief ist meist fehlerfrei“, sagt Wyss. Allerdings: „Die spezifische Individualität, das Persönliche und die Intimität können abhanden kommen, wenn man alles einer KI überlässt.“

Auch Didczuneit sieht es als interessanten Versuch, einmal zu schauen, was einem ChatGPT vorschlägt. „Aber in der Liebe hat man doch eher den Wunsch, den anderen zu erkennen und ehrlich miteinander umzugehen.“ Entscheidend sei dafür keine anspruchsvolle Sprache, sondern so zu schreiben, wie man eben sei. Zudem könne schon der Brief als solcher signalisieren, dass man sich um jemanden bemüht: „Vor über 150 Jahren ist die Postkarte entstanden, weil Briefe zu aufwendig erschienen, heute gibt es E-Mail und Chat-Nachrichten. In einer Liebesbeziehung geht es aber nicht um Ökonomisierung; eine Beziehung will gepflegt sein.“

Wyss sieht den Liebesbrief keinesfalls vor dem Aus

Viele Menschen posteten aus guten Gründen Fotos von handgeschriebenen Briefen in Sozialen Medien oder bemühten sich darum, in Kurrentschrift geschriebene alte Briefe ihrer Eltern oder Großeltern zu entziffern. Und sogar das, was an Briefen einst kritisiert wurde, kann in der heutigen hektischen Zeit zum Vorteil werden, sagt die
Wissenschaftlerin: „Die Verzögerung der Kommunikation – das ist heute etwas Besonderes.“