Vorbildlicher Friede

In einem Dorf im Niemandsland leben rund 300 Palästinenser und Israelis friedlich zusammen. Ein Vorbild, das zeigt, wie es auch im Großen funktionieren könnte. Evi Guggenheim Shbeta will die Hoffnung nicht aufgeben

Genau in der Mitte zwischen Tel Aviv und Jerusalem lebt Evi Guggenheim Shbeta mit 70 Familien im Friedensdorf Wahat al-Salam-Neve Shalom. Ein Ort, idyllisch gelegen, umgeben von Natur. Hier wohnen aktuell rund 300 Israelis und Palästinenser gemeinsam friedlich Tür an Tür. Sozusagen ein Vorbild im Kleinen, das zeigt, wie es im Großen funktionieren könnte.
Dabei ist Evis Ehe an sich schon etwas Besonderes: Als Schweizerin mit jüdischen Wurzeln ist sie seit 30 Jahren mit ihrem Mann Eyas, einem Palästinenser, verheiratet. „Wir streiten jeden Tag, aber nie über Politik“, scherzt sie. Bald gebe es endlich ein weiteres gemischtes Paar, aus der zweiten Generation von Dorfbewohnern, das hierher ziehen wolle.
Damit spricht Evi gleichzeitig ein Thema an, das immer mehr zum Problem wird: nämlich fehlender Bauplatz. „Die meisten unserer Kinder wollen hier bleiben und eigene Familien gründen, doch als gemischte Gemeinde bekommen wir nicht mehr Land. Über 90 Prozent des Grund und Bodens liegen in staatlicher Hand, die Regierung beschließt, wo Dörfer gebaut werden. Das ist ein großes Politikum.“ Die eine Hälfte des Friedensdorfes, so Evi, befinde sich laut Demarkationslinie von 1948 im Niemandsland, die andere auf israelischem Gebiet.
Beim Spaziergang über das weitläufige Gelände zeigt sie stolz, wie das Friedensdorf seit der Gründung vor 40 Jahren stetig gewachsen ist. Der Baum am Eingang, erzählt sie, sei ein Geschenk von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Und Hillary Clinton habe sogar schon persönlich vorbeigeschaut.

Mit einer Schule fing im Jahr 1978 alles an

Vor einem Gebäude macht Evi Halt. „Genau hier fing 1978 alles an. Mit unserer Friedensschule, die heute führend ist in der Ausbildung für Friedenserziehung.“ Nur wenige Meter daneben liegt die Primarschule. 1984 hatte diese gerade mal zwei Lehrer und elf Schüler. „Heute werden hier fast 300 Kinder zusammen unterrichtet. Wie selbstverständlich lernen sie beide Sprachen, hebräisch und arabisch. Rund 90 Prozent der Kinder kommen übrigens aus der Umgebung, sind also nicht aus dem Dorf“, verrät die Schweizerin.
Sie zeigt noch einen Ort, der ihr am Herzen liegt: das pluralistische spirituelle Zentrum. „Hier finden Meditationswochenenden und Seminare statt. Gleich dahinter, in dem Haus mit der runden Kuppel, befindet sich unser Ort des Schweigens. Das Schweigen ist die gemeinsame Sprache aller Religionen, auch der Atheisten.“ Ursprünglich, erinnert sich Evi, wollte Bruno, ein Dominikanerpriester und Gründer des Dorfes, ein dreieckiges Gotteshaus bauen, in dem jede der Weltreligionen seine eigene Ecke haben sollte. Als er bei der Abstimmung in der Mitgliederversammlung von jemandem gefragt wurde, ob es darin denn auch eine für Atheisten gebe, entstand die Idee für das runde Haus. Gebetsstätten für die einzelnen Religionen gebe es daher auf dem Gelände nicht. „Die meisten Bewohner sind – wie ich selbst auch – nicht religiös. Die Feiertage von Muslimen, Juden und Christen begehen wir trotzdem, aber eben auf traditionelle Art.“
Weiter hinten auf dem Gelände, macht Evi noch aufmerksam, liege der Dorffriedhof. Im Übrigen der einzige gemeinsame für Juden und Palästinenser. „Und damit der einzige Ort, wo ich neben meinem Mann begraben werden kann.“
Den politischen Kurs ihrer Regierung sieht die Friedensaktivistin durchaus kritisch. Israel versuche immer wieder, die so genannten grünen Grenzlinien zu vertuschen, still und leise Land zu annektieren und sich im Opferstatus zu sehen. Das Nationalstaatsgesetz, mit dem Arabisch als offizielle Sprache abgeschafft wurde, sei zudem eine Diskriminierung der Palästinenser, die in Israel leben.
Den größten Erfolg ihrer Friedensschule und der Erziehung ihrer eigenen Kinder sieht Evi deshalb darin, die alten Schwarz-Weiß-Denkmuster zu durchbrechen. Den Nahost-Konflikt differenziert zu sehen. „Ich sage immer: Unsere Industrie ist die Friedensindustrie. Wir setzen auf unsere fünf verschiedenen friedenspädagogischen Institutionen, gehen mit ihnen nach draußen, an die Universitäten sowie an die jüdische und palästinensische Bevölkerung.“ Mit schmalen finanziellen Mitteln, gibt sie zu. Wenn sie aufrechne, was dagegen ein Kampfflugzeug koste, sei das ernüchternd.

Bevölkerung ist eigentlich bereit für den Frieden

Das Bild, was die Medien zeichnen würden, reflektiere nicht den Alltag. In den Nachrichten sehe man eben immer nur Bilder, die die Spannungen zeigten. „Die israelische Regierung ist gut darin, die Medien für ihre Zwecke zu benutzen. Ich denke, unsere Bevölkerung ist eigentlich bereit für den Frieden, aber zu passiv. Weil es uns finanziell gut geht, da wird man bequem. Und eines darf man auch nicht vergessen: Durch den Holocaust ist unser Volk traumatisiert.“
Ein Thema, mit dem sich Evi auch beruflich beschäftigt. Sie ist klinische Leiterin der Organisation Amcha, einer Anlaufstelle für traumatisierte Holocaust-Opfer. „Wir haben über 100 Mitglieder, die bei uns auf Wunsch eine Psychotherapie erhalten. Die älteste Dame bei uns ist 100 Jahre alt. Es ist ein Irrglaube zu meinen, nur, weil die Verbrechen so lange zurückliegen, sei keine Therapie mehr nötig“, weiß Evi.
Das Gegenteil sei der Fall. „Viele der Holocaust-Überlebenden kamen damals nach Kriegsende hier nach Israel, haben das Erlebte verdrängt, hart gearbeitet und schnell eine Familie gegründet. Erst im Rentenalter und durch die Nähe des Todes kommt bei vielen das Unterdrückte zurück. Das wird auch an die nächsten Generationen weitergeben. Da bleibt immer eine Überlebensangst, und die spiegelt sich auch im Nahost-Konflikt wider.“

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