Vor 70 Jahren kam der sowjetische Geheimdienst zum Kürzel KGB

Reich an Windungen ist die Geschichte der sowjetischen Geheimdienste. Eine Konstante aber ist der Terror gegen vermeintliche Feinde der Gesellschaft. Eine Ermittlung aus gegebenem Anlass.

Der 14. August 1947 hat sich in das Gedächtnis der damals neun Jahre alten Lore Siebert eingebrannt. Plötzlich war ihre Mutter verschwunden. Drei Tage stand Lore damals draußen unter einem Apfelbaum und hoffte auf deren Rückkehr. Dann wurde der Familie klar: Das Warten hatte keinen Sinn; Marlise Steinert würde nicht wieder in ihre Potsdamer Wohnung kommen. Es war ein „langsames Bewusstwerden, dass sich hier was ändert“. Von einem „Sterben über drei Tage“ wird Siebert später sprechen.

Ihre Mutter Marlise hatte nach der Flucht aus Lettland 1945 als Dolmetscherin für die sowjetische Militärspionageabwehr in Potsdam angeheuert. Das Gelände rund um das Kaiserin-Augusta-Stift bauten die Sowjets als Brückenkopf für ihre nachrichtendienstliche Tätigkeit in der von ihnen besetzten Zone und in Westeuropa aus. Auf 16 Hektar und rund 100 Gebäude sollte es das „Militärstädtchen Nr. 7“ bringen. Ein ehemaliges evangelisches Pfarrhaus in der Leistikowstraße, heute eine Gedenkstätte, wurde zum Untersuchungsgefängnis.

Bei der Räumung des Hauses hatte Marlise Steinert noch gedolmetscht. Nun fand sie sich selbst als Häftling dort wieder. Weil ihr eigener Arbeitgeber sie festgenommen hatte – wegen Spionageverdachts. Willkür und Paranoia gehörten in einem besonderen Maße zum Wesenselement der sowjetischen Geheimdienste. Deren wichtigste Einheiten wurden vor 70 Jahren, am 13. März 1954, ein gutes Jahr nach dem Tod von Diktator Josef Stalin, unter einem neuen Namen zusammengefasst: „Komitee für die Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR“, kurz KGB.

Seither stand das Kürzel laut der Soziologin Anna Schor-Tschudnowskaja für Einschüchterung und eine möglichst lückenlose Überwachung der Bevölkerung sowie „für Schauprozesse, Propaganda und Desinformation, im Inneren des Landes wie auch im Ausland“. Dazu trug auch die Militärspionageabwehr in Potsdam bei, die zu einer KGB-Hauptabteilung wurde. Die Gesamtzahl der im Potsdamer Untersuchungsgefängnis zwischen 1945 bis 1991 inhaftierten Menschen sei nicht bekannt, sagt Norman Warnemünde, Mitarbeiter der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam. Bislang habe man – neben Marlise Steinert – rund 1.700 Namen zusammentragen können.

Ein Bruchteil der Opfer, die der Geheimdienst mit den drei Buchstaben auf dem Gewissen hat. Wobei der Terror gegen die eigene Bevölkerung in Russland eine lange Tradition hat. Zar Iwan der Schreckliche installierte mit der Opritschina 1565 die erste politische Polizei, den „Urahn“ des KGB, wie es KGB-Überläufer Oleg Gordijewski und der britische Historiker Christopher Andrew in ihrem 1990 erschienenen Standardwerk formulierten.

„Auf dem Gipfel seiner Macht prägte der KGB mit seinen mehr als eine Million Offizieren, Agenten und Informanten die sowjetische Gesellschaft so stark wie keine andere Institution“, so Ben Macintyre in seinem im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienenen Bestseller „Der Spion und der Verräter“ über die abenteuerliche Aussteigergeschichte Gordijewskis. Im Westen stand der Geheimdienst dem Autor zufolge bald schon für die „ganze Grausamkeit eines totalitären Regimes, das von einer gesichtslosen Beamtenmafia geführt wird“.

Bis heute liefert die Auseinandersetzung mit dem KGB reichlich Stoff für Literatur und Film. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der Roman von Historikerin Karina Urbach alias Hannah Coler über die „Cambridge Five“. Das waren fünf ehemaligen Studenten des Trinity College, die als Doppelagenten des NKWD und später dann des KGB den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 ausspionierten. Nur wenig später betrat in dem für Auslandsspionage zuständigen MI6 der fiktive Agent James Bond die Bühne. Der wiederum rettete die westliche Welt so manches Mal vor Bösewichten aus der Sowjetunion.

Derlei Spektakel auf der Leinwand verdunkelte freilich den Blick auf die tatsächlichen Abgründe der KGB-Herrschaft und deren langfristige Folgen. Mit Wladimir Putin hält ein ehemaliger KGB-Mann Russland in eisernem Griff. Geheimdienste haben Hochkonjunktur – mit dem einzigen Unterschied, dass deren wichtigster Zweig seit 1991 nicht mehr KGB heißt, sondern inzwischen unter dem Kürzel FSB firmiert – mit ungebrochenem Selbstbewusstsein. Ex-FSB-Chef Nikolaj Patruschew nannte seine Untergebenen einmal die neuen Adeligen Russlands.

Für die Zeit vor 1991 bilanzierte Anna Schor-Tschudnowskaja im Jahr 2016: „Bis heute liegen keine endgültigen und verlässlichen Daten zu den Opfern des sowjetischen Staatsterrors vor, weder unter Lenin noch unter Stalin oder danach. Sehr vorsichtigen Schätzungen zufolge waren es einige Millionen Menschen, die in die Lager kamen, viele von ihnen haben die Lagerhaft nicht überlebt.“

Auch Marlise Steinert verbrachte rund fünf Jahre in den berüchtigten Gulags. 1953 wurde sie freigelassen, ließ sich später im niedersächsischen Verden (Aller) nieder, wo sie 1982 starb. In der Potsdamer Gedenkstätte Leistikowstraße ist ihr eine noch bis zum 30. Mai laufende Sonderausstellung gewidmet.