Vor 100 Jahren wurde der Journalist Peter Scholl-Latour geboren

„Die Welt aus den Fugen“ hieß eines der letzten Bücher von Peter Scholl-Latour. Die darin enthaltenen Texte stammen aus den Jahren 2008 bis 2012. Eine neuerliche Lektüre lohnt – in verschiedener Hinsicht.

Zum Beispiel die Suche nach einem Kandidaten für das Präsidentenamt in den USA. „Mit Bestürzung muss man sich bei den jüngsten ‚Primaries‘ der Republikaner fragen, wie es möglich ist, dass so ein riesiger Staat mit so vielen Begabungen und hochqualifizierten Experten eine so extrem klägliche Kandidatenmannschaft für das höchste politische Amt aufstellt.“ Das schrieb der Journalist Peter Scholl-Latour schon 2012 in „Die Welt aus den Fugen“.

Mitt Romney, Sarah Palin oder Paul Ryan: Die Namen, um die es damals ging, sind längst Schall und Rauch. Aktuell steht eine Wiederwahl von Donald Trump im Raum. Was der 2014 verstorbene „Weltendeuter“ Scholl-Latour wohl dazu gesagt hätte? Bis ins hohe Alter jedenfalls galt „PSL“ als Fachmann für Prognosen zur politischen Großwetterlage, legte mit seinen zwischen Nuscheln und Raunen vorgetragenen Analysen den Finger in manche Wunde. Auch wenn Kritiker ihm mitunter Zynismus oder Überheblichkeit vorwarfen. Und er in manchen seiner Bücher wie „Die Welt aus den Fugen“ bereits längst Veröffentlichtes noch einmal als Remix auflegte.

Vor 100 Jahren, am 9. März 1924, wurde Peter Scholl-Latour in Bochum geboren. Auch damals war die Welt aus den Fugen. Französische und belgische Truppen hielten das Ruhrgebiet besetzt. Der Sohn eines Arztes verbrachte von 1936 bis 1940 einen Teil seiner Schulzeit am Jesuitenkolleg Sankt Michael im schweizerischen Fribourg. Sein Abitur legt er 1943 in Kassel ab – und geriet wenig später mitten hinein in die Wirren des ausgehenden Zweiten Weltkriegs. Bei dem Versuch, sich 1945 der Partisanenarmee des späteren jugoslawischen Staatschefs Josip Broz Tito anzuschließen, wurde er in der Steiermark von den Nazis aufgegriffen und in Haft gesteckt.

Eigentlich habe er niemals Sympathien für Tito und seine Kommunisten gehegt, bekannte Scholl-Latour 2007. „Ich wollte einfach aus Deutschland raus!“ Den Drang in die Freiheit hätte der damals 21-Jährige jedoch beinahe mit dem Leben bezahlt. Im Wiener Gestapo-Gefängnis infizierte sich Scholl-Latour mit Flecktyphus. Von der Krankheit habe es geheißen: „Entweder man stirbt daran, oder man wird verrückt“, so der Publizist. „Ich habe eine dritte Lösung gefunden und bin gesund geworden.“

Bald darauf zog es Scholl-Latour erneut in die Ferne. Unmittelbar nach Kriegsende meldete er sich beim französischen Expeditionskorps für Fernost, um die damalige Kolonie Indochina für Frankreich zu sichern. Von daher rührten seine besonderen Beziehungen zum heutigen Vietnam, Laos und Kambodscha. Sein Buch „Tod im Reisfeld“, erschienen 1980, gilt als eine Art Sachbuchklassiker.

Einem breiten Fernsehpublikum wurde Scholl-Latour ab den 1960er Jahren bekannt. Zunächst für die ARD berichtete der promovierte Politologe, der zudem an der katholischen Sankt-Joseph-Universität in Beirut Arabistik und Islamkunde studierte, vor allem aus Afrika und Asien, später avancierte er zum Orient-Experten. Kongo-Krise, Vietnam-Krieg oder der Aufstieg des Ajatollah Khomeini im Iran: Der Journalist war bei vielen historischen Schlüsselmomenten zugegen – und brachte sie seinen Zuschauern und Lesern in Deutschland nahe.

Dabei geriet er immer wieder in brenzlige Situationen. So im August 1973, als er und sein Kamerateam in die Hände der vietnamesischen Guerilla-Organisation, des Vietkong, fielen. In solchen Situationen helfe nur eines: „Reden, reden, noch mal reden.“ Eine Waffe dagegen bringe nichts, so Scholl-Latour in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) kurz vor seinem Tod. „Wenn Sie einen Revolver in der Tasche haben, und da steht einer mit der Kalaschnikow vor Ihnen, können Sie auch den Revolver nicht mehr ziehen.“

Bis zuletzt machte er sich für die deutsch-französische Freundschaft stark. Das Schicksal Europas hänge „von dem aktiven Zusammenschluss der karolingischen Erblande beiderseits des Rheins“ ab, schrieb er mit einer Portion Pathos in „Die Welt aus den Fugen“. Ihm seien ein paar gute Bücher gelungen – davon war Scholl-Latour überzeugt. „Der Rest ist Staub.“ Sein Grab befindet sich in Rhöndorf bei Bonn – nur wenige Schritte entfernt von dem Konrad Adenauers, des ersten Kanzlers der Bundesrepublik.