Vom “Taliban-Gefängnis” ins Hoffnungshaus

Als am 15. August 2021 die Taliban in Afghanistan das Land unter ihre Kontrolle brachten, veränderte sich Turfa Noors Leben völlig: Auf einen Schlag war sie in Lebensgefahr: Denn damals arbeitete sie für die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Dort war sie Mitarbeiterin in einem Ausbildungsprogramm für afghanische Polizisten, die geschult wurden, um gemeinsam mit US- und Nato-Gruppen gegen die Taliban vorzugehen.

Schnell vernichtete sie alle Papiere und elektronische Dateien, die auf ihre Arbeit hinwiesen, und ging nur noch vollverschleiert auf die Straße – damit ihr Gesicht bei einer Kontrolle der Taliban nicht erkannt wird. Wochenlang harrte die Familie in Kabul aus, bis sie mithilfe der Bundesregierung am 11. November auf dem Luftweg über Pakistan nach Deutschland fliehen konnten. „Diese Zeit war sehr schlimm und gefährlich“, erzählt die junge Frau mit den langen, schwarzen Haaren.

Dann ein weiterer Schock: In dem Flüchtlingsheim, indem sie zuerst in Deutschland untergebracht wurde, wohnte auch ein afghanischer Mann, der keinen Hehl daraus machte, dass er ein glühender Unterstützer der Taliban war. Turfa Noor verstand die Welt nicht mehr: „Wir sind vor eben solchen Meinungen und Haltungen nach Deutschland geflohen! Wir wünschen uns, dass solche Leute nicht einfach nach Deutschland kommen, sondern genauer geprüft wird, wer einreist.“

Für sie war es eine Erleichterung, als sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern ins Hoffnungshaus Leonberg (Landkreis Böblingen) umziehen konnte: Dieses Wohnkonzept vereint zwei Drittel Menschen mit und ein Drittel ohne Fluchthintergrund unter einem Dach. „Im Hoffnungshaus treffen viele verschiedene Nationalitäten aufeinander. Wir lachen und weinen miteinander. Wir unterstützen uns gegenseitig und lernen voneinander“, erklärt die 35-Jährige. Dabei spielt in den insgesamt 33 Hoffnungshäusern in Baden-Württemberg auch die jeweilige Standortleitung eine entscheidende Rolle, die die Gemeinschaft fördert und unterstützt.

Turfa Noor ist überzeugt: Ein solches Wohnkonzept hilft der Integration. In der Wohnung neben ihnen wohnt ein deutsches Ehepaar, das den Kindern regelmäßig Deutschnachhilfe gibt. Diese Unterstützung und der Fleiß ihrer ganzen Familie, die alle gemeinsam täglich die Artikel der deutschen Substantive üben, habe dafür gesorgt, dass ihre Tochter in der Grundschule nun sogar zu den besten Deutschschülern in der Klasse gehört. „Das ist ein tolles Gefühl für mich als Mama.“

Wenn sie mit ihrem Deutschkurs fertig ist, möchte die studierte Mathematikerin eine Ausbildung im Buchhaltungsbereich machen, so ihre Pläne. Derzeit arbeitet sie ehrenamtlich bei dem Projekt „Stuttgart-Afghanistan“ im Lindenmuseum mit, und organisiert beispielsweise Veranstaltungen, in denen sie den Reichtum der Badachschan-Region präsentiert, aus der sie stammt. Mit Liedern, Tänzen, und Gedichten möchte sie zeigen: „Wir haben viel Schönes in unserer Heimat.“

Sie sei sehr traurig, dass es in Deutschland in letzter Zeit einige gewalttätige Angriffe von einzelnen Afghanen auf die Bevölkerung gegeben habe. „Es tut mir sehr leid, was da passiert ist. Aber ich kann euch versichern, dass wir nicht alle wie diese Kriminellen denken und handeln.“

Bald wohnt sie mit ihrer Familie drei Jahre in Deutschland: „Wir als Familie sind sehr dankbar, dass wir mit der Hilfe der deutschen Regierung aus dem Taliban-Gefängnis fliehen konnten, Deutschland ist mittlerweile zu unserer zweiten Heimat geworden.“

Doch es macht sie wehmütig, wenn sie an die Menschen in Afghanistan denkt: An ihren 75-jährigen Vater, der sich vor den Taliban rechtfertigen muss, warum er nicht fünf Mal pro Tag in der Moschee betet, obwohl er nicht mehr gut zu Fuß ist. Und an ihre zwei Brüder, die ihren Master besitzen und vier Sprachen sprechen, aber keine Berufsperspektive haben, weil sie nicht mit dem Regime kooperieren wollen.

„Ich wünsche mir, dass die Menschen dort wieder zu ihren Rechten kommen. Und dass Mädchen auch nach der sechsten Klasse in die Schule dürfen“, sagt Turfa Noor. „Und dass niemand mehr seine Heimat verlassen muss.“ (1352/17.06.2024)