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Vom schillernden Erbe eines Südafrikaners namens Paulus Kruger

Es gibt Bilder, die sich so tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben haben, dass kaum einer mehr genau zu sagen vermag, wofür sie stehen. Das Foto eines älteren Mannes mit zauseligem Kinnbart von 1902 gehört dazu.

Das weißgraue Haupthaar, der leicht struppige Kinnbart; eine breite, markante Nase und ein etwas müder Blick: So schaut Paulus Kruger die Leser seiner Lebenserinnerungen an, die 1902 auf Deutsch erschienen und fernab seiner Heimat Südafrika zum Bestseller gerieten. Der Politiker Kruger hatte da schon seine besten Tage hinter sich – und ein merkwürdiges Nachleben im nationalsozialistischen Deutschland vor sich. Doch der Reihe nach.

Auf dem Gebiet des heutigen Südafrika, am Kap der Guten Hoffnung, hatte die niederländische Ostindiencompanie bereits 1652 einen Stützpunkt errichtet. Gezielt förderte der mächtige Zusammenschluss von Händlern die Ansiedlung von niederländischen, deutschen und hugenottischen Bauern, niederländisch “Boeren”, wieder eingedeutscht “Buren”. Zu dieser Gruppe gehörte auch Paulus Kruger, der am 10. Oktober 1825, vor 200 Jahren, nahe Colesberg im Herzen des heutigen Südafrika zur Welt kam.

Es waren raue Zeiten, in denen der junge Paulus aufwuchs. “Das erste entscheidende Ereignis in meinem Leben war der Auszug aus der Heimat, unser ‘Trek'”, heißt es in Krugers Memoiren. Laut dem Historiker Wolfgang Reinhard konkurrierten mehrere Parteien um Land. Neben den Buren waren das seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Briten sowie einheimische Völker: etwa die von den europäischen Siedlern immer stärker unter Druck gesetzten Xhosa oder die Zulu mit ihrem legendären Anführer Shaka.

Seine Eltern hätten sich mit anderen Verwandten zu einer Gruppe von rund 20 Buren zusammengeschlossen und seien mit 30.000 afrikanischen Schafen und einigen hundert Pferden und Rindern im Mai 1835 über den Oranjefluss gezogen, um sich dort dem Zugriff der Briten zu entziehen, so Kruger. Sie gehörten damit zu den “Vortrekkern”, die sich in der Folgezeit in staatlichen Gebilden organisierten und den Briten bis Ende des 19. Jahrhunderts die Stirn boten.

In der Südafrikanischen Republik Transvaal gewann Kruger ab den 1860er Jahren an Einfluss, wurde dort schließlich Präsident. In der öffentlichen Wahrnehmung besetzte “Oom Paul” (Onkel Paul) erfolgreich die Rolle des volksnahen Underdogs. Als ihn ein englischer Lord zu sprechen wünschte und sein Gesandter zum Beweis der Dringlichkeit dessen viele Titel aufzählte, soll Kruger entgegnet haben: “Sagen Sie dem Herrn, ich sei Viehhirte gewesen und mein Vater Bauer.”

Erste militärische Auseinandersetzungen mit den Briten konnte Kruger mit Glück und Geschick für sich entscheiden. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. gratulierte Kruger 1896 höchstpersönlich: Er habe sich gegen die “Friedensstörer” durchsetzen können, “ohne an die Hülfe befreundeter Mächte zu appellieren”. Die Krüger-Depesche löste eine nachhaltige Verstimmung im deutsch-britischen Verhältnis aus.

Letzten Endes aber zogen Kruger und seine Buren gegenüber den Briten den Kürzeren. Im Herbst 1900 verließ Kruger an Bord eines niederländischen Kriegsschiffs Südafrika. Seine Heimat sollte er nicht mehr wiedersehen. Er starb 1904 in Clarens in der Schweiz.

Briten und Buren, eben noch erbitterte Gegner, rauften sich jedoch schnell zusammen – um die weiße Vorherrschaft in Südafrika abzusichern. “1913 wurde den Afrikanern Landerwerb außerhalb ihrer inzwischen eingerichteten Reservate verboten und die Zahl afrikanischer Pächter auf weißem Landbesitz begrenzt”, so Historiker Reinhard. Die Politik der jahrzehntelangen Rassentrennung, der Apartheid, habe endgültig Gestalt angenommen, als 1948 die burische Nationale Partei in Südafrika einen Wahlsieg eingefahren habe.

Bis heute ist Kruger präsent im Land, als Gründer und Namensgeber des weltbekannten Kruger-Nationalparks. Ein früher Umweltschützer – oder doch eher ein Rassist? Vor wenigen Tagen erst wurde eine Statue des Politikers in Pretoria attackiert. Kritiker sehen in ihm einen Wegbereiter des Apartheid-Regimes. Die Debatte darüber läuft.

Ein Denkmal ganz anderer Art setzten ihm die Nationalsozialisten in Deutschland mit dem Film “Ohm Krüger”, der im April 1941 in die Kinos kam. Das propagandistische Machwerk richtete sich gegen die Briten und endete mit der Vorhersage, dass sich die großen Nationen in Zukunft für die in den Burenkriegen begangenen Kriegsverbrechen der Engländer rächen würden.

Die weißen Haare, der Kinnbart: Die Ähnlichkeit von Hauptdarsteller Emil Jannings mit Kruger war verblüffend – half dem Schauspieler aber wenig weiter. 1945 belegten ihn die Alliierten wegen seiner Nähe zum NS-Regime mit einem lebenslangen Auftrittsverbot.