Vom Flüchtling zum Modedesigner

Er sammelte Kupferkabel, hütete Schafe und reparierte Autos: Schon als Kind übte der Afghane Hamid Norozi zahlreiche Berufe aus. Der Flüchtling macht in Hamburg seine Leidenschaft zum Beruf.

Hamid Norozi in seiner Hamburger Modewerkstatt
Hamid Norozi in seiner Hamburger ModewerkstattTimo Teggatz

Hamburg. An ausgefallenen Ideen hat es Hamid Norozi noch nie gefehlt: Zu Schulzeiten ließ er lieber sein Kaninchen an einem fliegenden Ballon in die Luft steigen, als den Koran auswendig zu lernen. Immer wieder wechselte er aus Langeweile seine Berufe. Als Flüchtling kam der heute 23-jährige Afghane nach Hamburg – und gründete sein eigenes Modelabel.
Norozi trägt eine Undercut-Frisur, sein Hemd hängt lässig über der Jeans. "Soll ich wirklich meine ganze Geschichte erzählen? Das wird lange dauern", sagt er und lacht. "Alles beginnt in Afghanistan. Dort bin ich zur Welt gekommen." Als er sechs Jahre alt war, starb seine Mutter bei der Geburt des jüngeren Bruders, sein Vater wurde kurze Zeit später ermordet. Die Großeltern flohen mit ihm und seinem Bruder in eine iranische Kleinstadt.

In der Schule wurde er geschlagen

Norozi – stets ein Lächeln auf den Lippen – redet in flüssigem Deutsch, nur gelegentlich muss er nach Worten suchen. Der Schulbesuch wurde für ihn zur Qual. Er zog Experimente mit seinem Kaninchen dem reinen Auswendiglernen vor. Außerdem wurde er vom Lehrer mehr geschlagen als die anderen – weil er Afghane war.
"Irgendwann konnte ich die ganze Schule nicht mehr aushalten." Er ging nicht mehr zum Unterricht und begann als Zehnjähriger, alte Kupferkabel zu verkaufen. Als das zu langweilig wurde, versuchte er sich als Automechaniker. Bald darauf nahm er einen Job in einer Teheraner Fabrik für Damenbekleidung an. Seine Aufgabe war es, die leeren Garnrollen, die die Näher auf den Boden warfen, aufzusammeln. "Bei 40 Grad Hunderte dieser Rollen zu tragen ist ganz schön hart."
Immer wieder kämpfte Norozi um bessere Arbeiten. Sein Traum war es, eigenen Kleider zu entwerfen. Für den Direktor der Fabrik damals noch undenkbar. Und so kündigte der junge Mann, suchte sich andere Tätigkeiten als Schafhirte und Fliesenleger – bis sich der Fabrik-Chef schließlich besann und ihm das Schneidern beibrachte.

Flucht nach Deutschland

Doch das Leben machte ihm weiter zu schaffen. Seine Großeltern verachteten den Schulabbrecher. Die Iraner grenzten den Afghanen aus, nach einem Unfall wurde er sogar verprügelt.
"Eines Tages habe ich den Plan geschmiedet, nach Europa auszuwandern." Gemeinsam mit einem Kumpel floh er nach Deutschland. Ende 2010 bezog Norozi ein Hamburger Flüchtlingsheim. Als 16-Jähriger bekam er einen Steuerberater aus Hamburg als Vormund, der sich später noch als Glücksfall entpuppen sollte. Zunächst einmal musste Norozi Deutsch lernen und zur Schule gehen. "Das war echt schwer, sich nach der Flucht an einen regelmäßigen Tagesablauf zu gewöhnen."
Als 2015 sein Großvater im Iran starb, erbte Norozi dessen Vermögen. Für den jungen Flüchtling war sofort klar, dass er damit seine daheimgebliebenen Landsleute unterstützen wollte. Er sorgte dafür, dass sein ehemaliger Chef das Geld bekam und damit eine weitere Bekleidungsfabrik in Teheran gründete – ohne Kinderarbeit und mit fairen Löhnen. Das Unternehmen lief gut an, per Videotelefon überzeugte sich Norozi immer wieder vom Zustand.

Mode aus Teheran für Deutschland

Bald darauf kam ihm eine weitere Idee: "Die Fabrik in Teheran könnte Mode für Deutschland produzieren." Er entwarf Muster für Kleidungsstücke und zeigte sie seinem Vormund, dem Steuerberater. Der 80-jährige Hamburger unterstützte Norozi, der bislang nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis hat, bei der Gründung seines eigenen Modelabels. Er übernahm die Rolle des Gesellschafters und stellte neben Norozi drei weitere Mitarbeiter ein. Der Markenname "Douk" bedeutet auf Persisch Garnrolle und erinnert an Norozis erste Arbeitsstelle in der Teheraner Fabrik.
Kleider, Damenmäntel und -jacken entwirft Norozi seit vergangenem Jahr unter diesem Label – ganz altmodisch mit Nähmaschine und Bleistift. Die Kleidungsstücke werden in Teheran von mittlerweile fast 60 Mitarbeitern gefertigt und später in Deutschland vermarktet. Etwa 20 bis 30 Artikel pro Woche gehen derzeit im eigenen Online-Shop weg.
Trotzdem hat Norozi noch viel vor sich: Er will seine Ausbildung abschließen und sich um eine Aufenthaltsgenehmigung bemühen. "Richtig angekommen ist man wohl nie", sagt er – und sein Lächeln lässt vermuten, dass ihm die neuen Ideen auch in Zukunft nicht ausgehen werden. (KNA)