Vom Automaten-Passbild zur Großprojektion

Während ihres Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie in den 1960er Jahren jobbte Katharina Sieverding als Bardame – und zog sich ab und zu hinter den Vorhang eines Passbild-Automaten zurück, um sich mit geschwungenen Lippen und wilden Locken zu fotografieren. Diese ursprünglich kleinsten Schwarz-Weiß-Selbstporträts zog sie später groß auf. Sie sind ab Freitag in der Überblicksausstellung im Museum K21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu sehen, daneben stehen Spiegel. Betrachterinnen und Betrachter können so ihr eigenes Spiegelbild neben dem der jugendlichen Künstlerin betrachten.

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Gesicht und Körper steht im Mittelpunkt des Werks der heute 82-jährigen Künstlerin. Einen Zyklus von 16 in Rot-Tönen eingefärbten Selbstporträts aus dem Jahr 1969 nennt Sieverding „Stauffenberg-Block“. Sie beschäftige sich mit politischem Widerstand in der Kunst, sagte Kuratorin Isabell Malz am Donnerstag in Düsseldorf. Es sei nicht etwa eine Anmaßung, das Lebenswerk des Hitler-Attentäters Claus-Schenk Graf von Stauffenberg mit diesen Selbstporträts in Verbindung zu bringen, so Malz, sondern ein Beleg von Sieverdings Verantwortungsgefühl. Als Schülerin des Künstlers Josef Beuys halte sie Kunst stets für politisch.

Als eine „Pionierin der Fotokunst“ würdigte die Leiterin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Susanne Gaensheimer, Sieverding. Sie habe Mitte der 1960er Jahre eigenständig das Foto als Medium der Kunst erkannt, lange bevor die Düsseldorfer Kunstakademie mit dem Fotografen-Paar Bernd und Hilla Becher die Fotoschule begründete. Aus ihr gingen später Fotokünstler wie Andreas Gursky oder Candida Höfer hervor.

Katharina Sieverding arbeitete nach den Automaten-Fotos mit 10 mal 10 Zentimeter großen Polaroid-Bildern in ihrer eigentümlichen verwaschenen Farbigkeit. Neben diesen kleinen Arbeiten zeigt die Ausstellung überdimensional große Werke: Filme mit Überblendungen von Sieverdings eigenem Gesicht mit dem ihres Lebensgefährten Klaus Mettig werden raumgroß auf eine Wand projiziert. Sie zeigten, wie fragwürdig Geschlechterzuschreibungen seien, sagte Gaensheimer. Sieverding sei überzeugt, dass „alles Männliche etwas vom Weiblichen und alles Weiblich etwas vom Männlichen“ habe. Damit leisteten diese Filmaufnahmen aus den Jahren 1973 und 1974 einen Beitrag zur aktuellen Gender-Debatte.

Sieverdings Kunst sei immer auch Ausdruck ihres privaten Lebens. Sie habe ihre drei Kinder und ihren Partner stets in die Arbeit einbezogen. „Wir sind quasi in der Dunkelkammer geboren“, sagte ihre Tochter Pola Sieverding. Die Entscheidung, den eigenen Körper in den Mittelpunkt des Werks zu stellen, habe auch damit zu tun, dass ihre Mutter sich als Frau in der männerdominierten Kunstwelt durchsetzen musste. Es sei ihr darum gegangen, die Verantwortung für das eigene Bild übernehmen.

Pola und ihr Bruder Orson Sieverding, beide ebenfalls künstlerisch tätig, haben Dokumentarfotografien aus dem reichhaltigen Sieverding-Archiv ausgewählt, die im Rahmen der Ausstellung zum ersten Mal zu sehen sind. In den ersten Wochen werden Bilder von Aktionen des Künstlers Josef Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie gezeigt. Während der vier Ausstellungsmonate sollen diese Bilder immer wieder gegen Dokumentationen anderer Stationen von Sieverdings Leben ausgetauscht werden.

Katharina Sieverding, 1941 in Prag geboren, hat vorübergehend in China gelebt und die Sowjetunion bereist. Ihr Vater war Röntgenarzt. Daher kennt sie das Foto auch als Diagnoseinstrument. In einem Saal werden extrem vergrößerte Aufnahmen von Mikroskop-Bildern kristallisierten Blutes gezeigt. Andere Arbeiten weisen Spuren ihrer Zeit am Theater auf, wo sie auch Bühnenbilder entwarf. Ihr Werk umfasst neben bearbeiteten Schwarz-Weiß-Fotografien und Diaprojektionen auch performative Arbeiten, Installationen, Filme, Videos und Plakataktionen.