Vogel des Jahres 2024 ist der Kiebitz
Einst war der Kiebitz ein Allerweltsvogel, heute steht er in Deutschland vor dem Aus. Um auf diese Gefahr aufmerksam zu machen, wurde er jetzt zum Vogel des Jahres gewählt. Über die Art gibt es Interessantes zu erzählen.
Hätte Berlin so einen Sinkflug hingelegt wie der Kiebitz, dann wäre Berlin heute bloß noch Mönchengladbach. Denn der einst allgegenwärtige Kiebitz hat in den vergangenen 36 Jahren hierzulande rund 93 Prozent seines Bestandes verloren. Auf die Hauptstadt übertragen hieße das, sie hätte keine 3,8 Millionen Einwohner, sondern nur an die 270.000. Diese Zahl ist aber immer noch deutlich größer als die der Kiebitz-Brutpaare, die aktuell in Deutschland leben: ungefähr 55.000. Die schwarz-weiß-metallisch gefärbten Flieger mit der markanten Federholle auf dem Kopf tragen nun alle einen Titel: Ihre Art ist Vogel des Jahres 2024.
Das ist das Ergebnis einer öffentlichen Wahl. Organisiert hatten sie der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) aus Berlin und sein bayerischer Partner, der Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) aus dem fränkischen Hilpoltstein. Bundesweit wurden rund 120.000 Stimmen abgegeben, davon 33.289 für den Kiebitz.
Unter den Kandidaten waren neben dem Sieger noch der Steinkauz (27.404 Stimmen), das Rebhuhn (25.837), die Rauchschwalbe (23.239) und der Wespenbussard (10.152). Sie alle zogen den Kürzeren gegenüber dem Kiebitz, der den Jahresvogel-Titel bereits zum zweiten Mal nach 1996 erhält. Damals wie heute wurde er erkoren, um auf seine Gefährdung aufmerksam zu machen.
Der Kiebitz verliert laut LBV seit Jahrzehnten massiv an Lebensraum. „Als Wiesenbrüter braucht er feuchte Wiesen und Weiden, Moore und Sümpfe. Durch die Klimakrise wird es jedoch immer trockener“, so der Naturschutzverband. Zudem würden noch immer Feuchtgebiete trockengelegt, in Äcker umgewandelt oder zu intensiv bewirtschaftet. Der Vogel finde deshalb kaum noch Platz zum Brüten und gelte heute als stark gefährdet.
Dem Nabu zufolge steht der Kiebitz damit „stellvertretend für viele andere Arten, die auf eine extensive Grünlandbewirtschaftung angewiesen sind und daher starken Bestandsrückgängen unterliegen“. Andere Arten wie das Braunkehlchen, bisher Vogel des Jahres. Der Fokus auf den Lebensraum Wiese bleibt also erhalten.
In diesem Habitat zeigt der etwa taubengroße Kiebitz ein possierliches Verhalten: „Männchen scharren kleine Mulden in den Boden und rupfen Gräser, um die Weibchen mit diesem sogenannten ‚Scheinnisten‘ von ihren Nestbau-Qualitäten zu überzeugen“, informiert der Nabu. Am echten Brutplatz könne man Kiebitze dann bei auffälligen Flugmanövern beobachten: „Dabei drehen sie Schleifen über dem Revier, stürzen sich in akrobatischen Flugmanövern gen Boden und rufen dabei weit hörbar.“ Daher werde die Art auch „Gaukler der Lüfte“ genannt.
Kiebitze fressen vor allem Insekten und Würmer. Dass die Vögel auch Menschen den Tod brächten, dachte man früher wegen ihres Rufes: „Kiewitt, kiewitt“ – das kann schon klingen wie „Komm mit“, wie ein Lockruf aus dem Jenseits also.
Im Diesseits ist der Kiebitz indes für Vertreibung gut. So wollten die Organisatoren des katholischen Weltjugendtages 2005 in Köln die Abschlussmesse mit dem Papst ursprünglich auf dem Flugplatz Hangelar stattfinden lassen. Doch sie mussten umplanen. Denn Naturschützer pochten auf den Schutz dort vorkommender seltener Arten wie eben des Kiebitzes. Die Gläubigen hätten ihn womöglich gestört, aber wohl kaum gegessen. Schließlich zählt die Bibel die Familie der Regenpfeifer, zu denen der Kiebitz gehört, zu den „unreinen“ Tieren.
Dennoch galten zumindest Kiebitzeier bis ins 20. Jahrhundert hinein als Delikatesse. Längst verwehrt das der Artenschutz. „Kiebitzen“ aber darf man noch, also beim Kartenspiel zusehen und Tipps geben. Mit dem Vogel hat das Wort indes nichts zu tun, laut Digitalem Wörterbuch der deutschen Sprache stammt es aus dem Gaunerjargon und bedeutet darin „durchsuchen, visitieren“.
Der Kiebitz visitiert jetzt im Herbst die Lande, um ein Überwinterungsquartier zu finden. In Deutschland bleibende Vögel suchen dazu meist die Nähe der Nordsee. In der kalten Jahreszeit ist die Art also eher in Mönchengladbach zu sehen als in Berlin.