„Versagen und Wegsehen“

Nach den Worten der evangelischen badischen Landesbischöfin Heike Springhart war der Umgang mit sexualisierter Gewalt auch in der badischen Landeskirche und ihrer Diakonie lange „von Versagen und Wegsehen geprägt“. „Wir müssen die erschütternden Geschichten der Betroffenen hören und sie stärker wahrnehmen“, erklärte Springhart im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Donnerstag in Karlsruhe. Der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl, forderte im epd-Gespräch einheitliche Anerkennungsleistungen innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Die Leitenden in Kirche und Diakonie äußerten sich zu den Ergebnissen der sogenannten ForuM-Studie, die am Donnerstag in Hannover vorgestellt worden war. Demnach gab es auch in der evangelischen Kirche und Einrichtungen der Diakonie weit mehr sexualisierte Gewalt als bislang angenommen. Das Forscherteam berichtete von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern in deutschen Landeskirchen.

„Wir nehmen uns das Leid, das Menschen angetan wurde, zu Herzen. Es trifft uns als Kirche und Diakonie ins Mark“, sagten Springhart und der badische Diakonie-Chef Urs Keller laut Mitteilung. Das Vertrauen der betroffenen Personen sei auf schreckliche Weise missbraucht worden. „Wir möchten betroffene Menschen, die sich noch nicht gemeldet haben, dazu ermutigen, dies zu tun.“

Das Dunkelfeld sei sehr groß. Es müsse für Betroffene leichter werden, sich zu melden, so die Bischöfin. Durch die Arbeit einer neuen unabhängigen regionalen Aufarbeitungskommission könnten weitere Fälle bekannt werden. Nötig seien zudem Schutz- und Präventionskonzepte, so die Bischöfin.

Der württembergische Landesbischof Gohl sagte, sexualisierte Gewalt sei immer auch Leitungsversagen. Die Landeskirche verfüge aber bereits über ein gut funktionierendes Präventionskonzept, auch weil man gesehen habe, dass Leitung bei diesem Thema nicht immer wahrgenommen wurde. Gohl kündigte zudem an, dass die kirchlichen Personalakten noch genauer auf Hinweise zu sexualisierter Gewalt untersucht würden.

Der Bischof sprach sich für eine EKD-weite Regelung von Anerkennungsleistungen aus. Württemberg sei an diesem Punkt bereits in Vorleistung gegangen und stelle pro betroffener Person bis zu 30.000 Euro zur Verfügung. Auch die Schutzkonzepte in evangelischen Einrichtungen sollten bundesweit vereinheitlicht werden. Über das evangelische Pfarrhaus und seine speziellen Ausprägungen, wie sie in der Studie kritisch angesprochen worden seien, müsse sich die Kirche neu Gedanken machen, sagte Gohl.

Auch das Diakonische Werk Württemberg zeigte sich betroffen von sexualisierter Gewalt in ihren Einrichtungen. „Das ist nicht entschuldbar. Hinter jedem einzelnen Fall steht ein schweres Schicksal, das die Betroffenen bis heute, ein Leben lang schwer belastet“, sagte Vorstandsvorsitzende Annette Noller laut einer Mitteilung. Die Studie gebe Hinweise, welche Missstände und Lücken zu schließen seien, um Menschen in den Einrichtungen vor sexualisierter Gewalt zu schützen. (0171/25.01.2024)