Von Respekt und Anerkennung war der Festakt zum 80. Gründungstag der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) geprägt. Die geladene Politprominenz würdigte den seelischen Kraftakt der Holocaust-Überlebenden, die schon im Juli 1945 einen neuen Grundstein für jüdisches Leben in Oberbayern gelegt hatten. Und sie verneigte sich vor der „Grande Dame“ des Abends, Charlotte Knobloch, die seit 40 Jahren Präsidentin der IKG ist.
Dass es in München heute eine lebendige jüdischen Gemeinde mit einem selbstbewussten Zentrum im Herzen der Stadt gebe, sei das Verdienst Knoblochs und „all derer, die vor 80 Jahren den Mut hatten, einen Neuanfang zu wagen“, sagte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) laut Redemanuskript. Mit Blick auf offenen Antisemitismus in Deutschland kritisierte sie die lange Untätigkeit von Politik und Gesellschaft. Zu lange habe man zu Antisemitismus im Gewand vermeintlicher Israelkritik geschwiegen. „Wir haben ‘Wehret den Anfängen’ vergessen“, beklagte Klöckner in der Ohel Jakob Synagoge vor Gästen wie dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), dem Botschafter Israels in Deutschland, Ron Prosor, und dem Publizisten Michel Friedman. Judenhass käme in Deutschland „von rechts, von links, und oft aus religiösem Eifer“, sagte sie. Eine tolerante Gesellschaft dürfe das nicht hinnehmen.
Als Lichtgestalt, Mut-Macherin und als „unsere jüdische Bavaria“ bezeichnete Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) die IKG-Präsidentin. Seit 40 Jahren stehe Knobloch der jüdischen Gemeinde vor, „und auch unserem Land haben Sie eine Richtung gegeben“, sagte Aigner laut Redemanuskript. Die heute 92-Jährige habe „den Patriotismus ihres Vaters“ Fritz Neuland, einer der IKG-Mitbegründer, verinnerlicht. Dieser habe sich trotz des Verrats und des Massenmords der Deutschen an den Juden „nicht nehmen lassen, dass dies dereinst ihre Heimat war – und wieder werden könnte“. Die Landtagspräsidentin würdigte diesen „Vertrauensvorschuss in eine Republik, die es noch nicht gab“ als „Zeugnis übermenschlicher jüdischer Resilienz“. Zugleich betonte sie, dass im Kampf um Freiheit und Demokratie jede Form von Judenhass in Deutschland „geächtet und bekämpft“ werden müsse: „Denn wo jüdische Menschen nicht angstfrei leben können, da kann niemand gut leben.“
Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, betonte „die übermenschliche Kraft“ der Männer und Frauen, die 1945 „mit kaum mehr als einem Lichtschimmer am Horizont“ eine neue Gemeinde begründet hatten. Erst dadurch sei jüdisches Leben „erneut möglich“ geworden, sagte Schuster laut Manuskript. Gerade die Münchner Gemeinde sei „ohne Charlotte Knobloch und ihre Familie nicht zu denken“. Sie habe durch ihr Wirken als Zentralratsvorsitzende von 2006 bis 2010 und noch immer als IKG-Präsidentin Deutschland „wieder zu einem Begegnungsort für internationale jüdische Organisationen gemacht“, sagte Schuster. Dass jüdische Menschen ihren Glauben in Deutschland leben könnten, sei oberstes Ziel des Zentralrats: „Wir gehen hier nicht weg, denn wir gehören hierhin“, betonte Schuster.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) bezeichnete den Aufschwung jüdischen Lebens in München laut Manuskript als Verdienst der Überlebenden, „die sich ihren Glauben an die Bereitschaft zum Guten im Menschen bewahrt“ und ihre Vorstellungen von einer gerechten und humanen Welt „gegen alle Barbarei“ verteidigt hätten. Das Stadtoberhaupt kündigte an, in Kürze eine Straße in Synagogen-Nähe nach Fritz Neuland zu benennen. Dessen Tochter Charlotte Knobloch dankte er „für ihren unbedingten Willen zum Neuanfang und zur Überwindung von Hass und Unmenschlichkeit“ und erneuerte sein Versprechen, „jüdisches Leben bei uns wie unser eigenes zu schützen“.
Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern wurde am 15. Juli 1945 von Holocaust-Überlebenden wie Julius Spanier und Fritz Neuland, dem Vater von Charlotte Knobloch, wiedergegründet. Heute ist sie mit rund 9.300 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde in Deutschland. (2326/15.07.2025)