Verletzungen bleiben: Das war die EKD-Synode in Würzburg
Viele Themen bei der Tagung des Kirchenparlaments. Aber der Umgang mit sexualisierter Gewalt prägt auch diesmal wieder die Beratungen und Entscheidungen.
Anspannung liegt über dem Saal. In Würzburg tagt die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Kirsten Fehrs spricht. Wenn man die Synode im Machtgefüge der Kirche als Parlament oder Bundestag ansieht, dann ist Fehrs als EKD-Ratsvorsitzende so etwas wie die Bundeskanzlerin der evangelischen Kirche – und muss jetzt dem Parlament einen Rechenschaftsbericht vorlegen: Was ist in den vergangenen zwölf Monaten geschehen? Wo steht die Kirche jetzt?
Fehrs wird viele Themen ansprechen. Wie steht die Kirche zum Aus der Regierungs-Fraktion „Ampel“? Zu der politischen Machtverschiebung in den USA? Fehrs wird über Migration und Asyl reden. Antisemitismus.
Fehrs über Kurschus: „Wir alle haben Fehler gemacht“
Aber im Moment ist die Ratsvorsitzende bei Punkt 3 ihres Berichts: „Rückblick auf November 2023 – Lernen aus der Krise“. Die Krise, damit meint Fehrs die Umstände, die bei der Synode vor einem Jahr zum Rücktritt der damaligen Ratsvorsitzenden Annette Kurschus geführt hatten. Im Raum standen Vorhaltungen, Kurschus sei nicht transparent genug mit Vorwürfen von sexualisierter Gewalt eines kirchlichen Mitarbeiters umgegangen. Kurschus wiederum kritisierte, man habe sie von Seiten der EKD nicht genügend unterstützt. Seit dem Rücktritt übt Fehrs als Kurschus’ Stellvertreterin das Amt der EKD-Ratsvorsitzenden kommissarisch aus.
„Wir alle haben Fehler gemacht“, sagt Fehrs, „nicht allein Annette Kurschus“. Die sitzt als Gast im Saal und hört aufmerksam zu. Fehrs bekundet Respekt dafür, dass Kurschus Verantwortung übernommen habe in schwerer Zeit. Fehrs’ Worte mögen hier auf manche wie eine Art Ehrenerklärung für Kurschus wirken, anderen kommen sie vielleicht zu vage vor. Nach der bedrückenden Stille während des Vortrags ist der Applaus der Synode jedenfalls gewaltig, als Fehrs schließlich dankt für alles, was Kurschus „der EKD geschenkt“ habe – mit „Wortkraft und theologischem Feinsinn“. Die Erklärung soll einen Schlusspunkt setzen, so Fehrs. Aber, wie sie selbst zugibt: Es bleiben Unverarbeitetes und Unbearbeitetes. Und es bleiben Verletzungen.
EKD-Synode: Missbrauchsbetroffene werden gehört
Tags darauf steht das Thema Umgang mit sexualisierter Gewalt auf der Tagesordnung. Betroffene berichten von ihren traumatisierenden Erfahrungen. Und plötzlich sind jetzt auch Vorwürfe gegen Kirsten Fehrs da. Auch in Fehrs’ Bekanntenkreis habe es jemanden gegeben, dem Übergriffe gegen eine Schutzbefohlene vorgeworfen wurden.
Ungläubiges Staunen. Verwirrung. Entsetzen. Stolpert schon wieder eine kirchliche Leitungsperson über dieses Thema? Aber offenbar lässt sich im Laufe des Tages zumindest der Vorwurf entkräften, Fehrs habe Informationen zurückgehalten. Anschuldigungen und der Umgang damit waren offenbar seit Längerem zuständigen Stellen mitgeteilt worden, auch den Mitgliedern der EKD-Synode.
Kirsten Fehrs wird als Ratsvorsitzende bestätigt
Aber: Am nächsten Tag wird Kirsten Fehrs als Ratsvorsitzende bestätigt. Zwar galt ihre Wahl ohnehin als sicher. Trotzdem kam nach der Diskussion des Vortages noch mal Spannung auf, ob sich die neuerlichen, alten Vorwürfe auf die Wahl auswirken würden. Das taten sie aber offenbar nicht.
Gewählt wurden zuvor bereits drei andere Personen auf frei gewordene Plätze im EKD-Rat: die Kirchenpräsidentin der Evangelisch-Reformierten Kirche Susanne Bei der Wieden, Ordensschwester Nicole Grochowina sowie der Berliner Bischof Christian Stäblein.
Entschädigungszahlungen für Betroffene sexualisierter Gewalt
Für Entschädigungszahlungen für Betroffene sexualisierter Gewalt in ihren Gemeinden und Einrichtungen präsentierte die EKD ein „Kombimodell“ aus einer individuellen und einer pauschalen Leistung, so Betroffenen-Sprecher Detlev Zander. Die pauschale Leistung soll im Falle strafbarer Taten 15 000 Euro betragen und auch dann gezahlt werden, wenn die Taten nach staatlichem Recht verjährt sind.
Für Betroffene sei diese Summe die „absolute Untergrenze“, sagte Detlev Zander, der Sprecher des Beteiligungsforums ist, in dem Betroffene und kirchliche Beauftragte Beschlüsse und Verfahren zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der evangelischen Kirche vorbereiten. Das Modell muss noch grünes Licht aus den Landeskirchen und diakonischen Landesverbänden bekommen. Nach dem Willen des EKD-Rates soll es im Frühjahr endgültig beschlossen werden.
Maßnahmenplan zur Prävention und zum Umgang mit sexualisierter Gewalt
Zum Ende der Tagung hat die Synode einen Maßnahmenplan zur Prävention und zum Umgang mit sexualisierter Gewalt beschlossen. Die Synodalen verabschiedeten einstimmig das zwölf Punkte umfassende Papier, das vorsieht, für Betroffene ein „Recht auf Aufarbeitung“ zu schaffen und eine zentrale Ombudsstelle einzurichten.
Die Landeskirchen sollen ihre Personalakten systematisch nach möglichen Fällen sexualisierter Gewalt untersuchen. Außerdem will die evangelische Kirche ihr Sexualverständnis mithilfe von Experten kritisch reflektieren lassen und plant eine Publikation dazu.
„Migration, Asyl und Menschenrechte“: Beschluss zum Kirchenasyl
Passend zum Schwerpunktthema „Migration, Asyl und Menschenrechte“ wurden außerdem mehrere Beschlüsse zur Migrationspolitik gefasst, darunter auch einen, der das Kirchenasyl als Institution in den Gemeinden stärken soll.