Verfassungsgericht muss Vaterrechte und Kindeswohl abwägen

Kurz nach Geburt des Sohnes ging die Beziehung auseinander. Nun kämpft der biologische Vater um die rechtliche Elternschaft. Bislang vergeblich.

Familienformen sind im rasanten Wandel. Alleinerziehende, gleichgeschlechtliche Paare, Patchwork- oder Stiefvater-Familien. Diese Vielfalt und daraus entstandene Konflikte standen am Dienstag im Hintergrund der Verhandlung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts.

Konkret ging es um einen Spezialfall im Abstammungsrecht: um die Frage, wer der rechtliche Vater eines Kindes sein darf. Und wann der biologische Vater von der rechtlichen Vaterschaft ausgeschlossen bleibt. Die Verfassungsrichter müssen entscheiden, wie die Interessen des Kindes für eine bestmögliche Entwicklung und stabile emotionale Bindungen mit dem im Grundgesetz verankerten Elternrechten abzuwägen sind.

Ausführlich erläuterten Psychologen, welchen Rahmen es braucht, damit Kinder etwa ab dem sechsten Lebensmonats stabile Bindung mit ihren Bezugspersonen eingehen können. Diese Bindung könnten durch ein ganzes Leben tragen. Zugleich brachten Experten den Vorschlag ein, über eine Ausweitung der rechtlichen Elternschaft oder zumindest des Sorgerechts von zwei auf drei Personen nachzudenken, wie es etwa in Großbritannien möglich ist.

Die Vertreterin der Bundesregierung kündigte weitreichende Reformvorschläge beim Abstammungsrecht noch für diese, bis 2025 laufende Legislaturperiode an. Etwa auch im Blick auf gleichgeschlechtliche Paare. Konkreter wollte Staatssekretärin Angelika Schlunck nicht werden.

Der Erste Senat wird also noch vor einer möglichen Reform über die Verfassungsbeschwerde eines 44-jährigen Mannes aus Sachsen-Anhalt entscheiden. Er ist biologischer Vater eines heute drei Jahre alten Jungen. Die Mutter weigert sich, ihn als rechtlichen Vater anzuerkennen. Sie trennte sich von ihm unmittelbar nach der Geburt und ließ ihren neuen Lebenspartner als rechtlichen Vater eintragen.

„Die Mutter hat den leiblichen Vater systematisch aus dem Leben des Kindes verdrängt“, kritisierte Anwältin Franziska Köpke. Obwohl er die Mutter in der Schwangerschaft unterstützt und sich in den ersten Lebenswochen um das Kind gekümmert habe, habe er keine Chance bekommen, rechtlicher Vater zu werden. Der Anwalt der Mutter entgegnete, der leibliche Vater versuche, sich in eine funktionierende Familie zu drängen.

Der Mann selbst sagte am Rande der Verhandlung, er wolle und könne Verantwortung für den weiteren Lebensweg seines Sohnes übernehmen. Derzeit dürfe er nach dem Willen der Mutter sein Kind nur alle 14 Tage für drei Stunden sehen. „Unter diesen Umständen ist es fast unmöglich, eine intensive Bindung zu meinem Sohn aufzubauen.“

Gerichtspräsident Stephan Harbarth hakte bei den Experten nach, wie eine gute Vater-Kind-Beziehung und rechtliche Vaterschaft zusammenhängen. „Die rechtliche Vaterschaft erhöht nicht automatisch die Fürsorglichkeit für das Kind“, antwortete Psychologe Peter Zimmermann. Wichtig sei, dass das Kind sehr früh verlässlichen und dauerhaften Kontakt habe. Dazu brauche es gemeinsame Zeit, am besten mehrmals pro Woche. Sabine Walper von der Deutschen Gesellschaft für Psychologie zog einen Vergleich zu Adoptivkindern, die vielfach den Kontakt zum biologischen Vater vermissten.

Lucy Chebout vom Deutschen Juristinnenbund sprach sich für klarere und raschere Entscheidungen aus. Wenn Eltern wie in dem Fall jahrelang um Sorgerecht, Betreuungszeiten und Vaterschaft stritten, belaste das vor allem die Mutter sehr stark.

Im Hintergrund der Verhandlung steht eine wachsende Zahl von ähnlichen Verfahren. Meist müssen die Familiengerichte bei einer Trennung über Sorgerecht und Elternschaft entscheiden. Nach der bisherigen Rechtsprechung kann ein biologischer Vater nicht an die Stelle eines rechtlichen Vaters treten, wenn dieser in einer „sozial-familiären Beziehung“ zum Kind steht, wie es der Paragraf 1600 des Bürgerlichen Gesetzbuchs formuliert. Die Familiengerichte schauten aber viel zu wenig auf die Qualität dieser sozial-familiären Beziehung, kritisierte Klägeranwältin Köpke. „Es reicht schon, wenn der neue Partner mit der Mutter zusammenlebt. Was ist aber, wenn auch diese Beziehung einmal scheitert?“

Ihr Mandant hofft, dass das Bundesverfassungsgericht neben allgemeingültigen Überlegungen auch seinen konkreten Fall befrieden kann. Der sagt: „Ich möchte meinen Sohn in seiner Entwicklung begleiten. Und Stand jetzt macht mir die Mutter das unmöglich.“