Artikel teilen:

Verbände fordern Gaza-Zugang – Bundesregierung verteidigt Haltung

“Verhungern lassen ist Kriegsverbrechen”: Über 100 Organisationen fordern dringend Zugang zum Gazastreifen. Sie sprechen sich für eine UN-geführte Hilfsmission aus – im Gegensatz zu der, die von Israel getragen wird.

Mehr als 100 Organisationen haben erneut freien Hilfszugang zum Gazastreifen gefordert. Wegen der Blockade blieben Tonnen von Nahrung, Wasser, medizinischen Gütern und Treibstoff ungenutzt in Lagerhäusern außerhalb von Gaza, heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichten Appell an die Staatengemeinschaft. “Die Beschränkungen, Verzögerungen und Zersplitterung durch die Totalbelagerung der israelischen Regierung haben Chaos, Hunger und Tod verursacht.” Unterdessen verteidigt die Bundesregierung ihre Haltung, einen internationalen Appell für ein sofortiges Ende des Krieges nicht zu unterzeichnen.

Seitdem die von Israel und den USA unterstützte Gaza Humanitarian Foundation Ende Mai die Verteilung der Lebensmittel übernommen habe, litten besonders Kinder und alte Menschen zunehmend unter Mangelernährung und Hunger. Beinahe täglich komme es zu tödlichen Vorfällen an den Ausgabestellen. Nach UN-Angaben wurden seitdem mindestens 1.000 Palästinenser bei der Nahrungssuche, auf für humanitäre Hilfe angelegten Wegen oder an Nahrungsausgabestellen getötet.

“Regierungen dürfen nicht mehr auf die Erlaubnis zu handeln warten”, mahnen die Organisationen. Nötig seien ein sofortiger und dauerhafter Waffenstillstand, ein ungehinderter Zugang sowie eine von den UN geführte Hilfsmission, die nicht vom Militär kontrolliert werde. “Das UN-geführte humanitäre System hat nicht versagt, es wird daran gehindert, zu funktionieren”, so die Organisationen. “Zivilisten als Kriegswaffe verhungern zu lassen, ist ein Kriegsverbrechen.”

Nicht nur die Bevölkerung des Gazastreifens, auch humanitäre Helfer in der Region selbst seien inzwischen auf Hilfslieferungen angewiesen. “Durch die nun vollkommen verringerte Versorgung müssen humanitäre Organisationen mit ansehen, wie ihre Kollegen und Partner vor ihren Augen dahinsiechen”, heißt es in dem Schreiben.

Zu den Unterzeichnern gehören den Angaben zufolge derzeit 111 Hilfswerke aus der ganzen Welt, darunter auch mehrere kirchliche. Aus Deutschland haben den Appell demnach unter anderen die Welthungerhilfe, die Caritas, das Forum ziviler Friedensdienst und der Weltfriedensdienst unterzeichnet.

Aus Regierungskreisen hieß es, die Bundesregierung habe “starken Einfluss” auf die israelische Regierung. Sie müsse nicht jeder Initiative beitreten. In dem internationalen Appell fordern die rund 30 unterzeichnenden Länder Israel auf, seinen Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht nachzukommen. Zugleich wird die Hamas zur sofortigen und bedingungslosen Freilassung der “grausam gefangen gehaltenen Geiseln” aufgefordert. Ein ausgehandelter Waffenstillstand biete “die beste Hoffnung, sie nach Hause zu bringen und das Leiden ihrer Familien zu beenden”. Die SPD-Fraktion hatte am Dienstag für eine Unterzeichnung des Appells plädiert. Kritik daran kam unter anderem von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte zuvor betont, Deutschland habe bereits eine “praktisch inhaltsgleiche” Position im Europäischen Rat vertreten. Außenminister Johann Wadephul (CDU) erklärte zudem, Deutschland könne in dem Konflikt kein “neutraler Mittler” sein, “weil wir parteiisch sind. Wir stehen an der Seite Israels”. Der Wochenzeitung “Die Zeit” (aktuelle Ausgabe) sagte er, Deutschland genieße auch unter arabischen Staaten hohe Anerkennung. “Viele sehen uns als die europäische Kraft, die Einfluss auf Israel hat. Auch deswegen sprechen viele arabische Kollegen mit mir.” Die Waffenlieferungen Deutschlands an Israel habe bisher keiner von ihnen kritisiert. “Aber wir werden aufgefordert, noch stärker politischen Druck auf Israel auszuüben.”