“Vena” wagt sich in Tabuzonen vor

Packendes Drama um eine schwangere Drogenabhängige, die demnächst eine Gefängnisstrafe antreten muss.

Diese Figur macht es dem Zuschauer nicht leicht, sie zu mögen und sich mit ihr zu identifizieren. Zu Beginn von “Vena” ist Jenny (Emma Nova) sehr unsympathisch und abweisend, unhöflich und maulfaul. Über Probleme redet sie nicht gerne, lieber hört sie laute Techno-Musik. Ihre Oberflächlichkeit lässt sich schon an der starken Schminke, den frech gefärbten Haaren und den engen Klamotten festmachen. Jenny wohnt mit ihrem Freund Bolle (Paul Wollin) zusammen. Beide sind abhängig von Crystal Meth, obwohl Jenny erneut schwanger ist. Ein Kind hat sie schon: Lucas, der aber bei seiner Großmutter lebt.

Jenny ist ihre Schwangerschaft herzlich egal. Sie hat schlimmere Probleme: Nach Ärger mit dem Jugendamt und der Justiz – Genaueres erfährt man nicht – muss sie in wenigen Wochen eine Haftstrafe antreten. Doch die junge Frau lässt sich nicht helfen; sie geht weder zum Arzt, noch hört sie zu rauchen auf. Immerhin nimmt sie kein Crystal Meth mehr; im Gegensatz zu Bolle, dessen Drogenabhängigkeit das Zusammenleben immer schwieriger macht. Als ihr die Familienhebamme Marla (Friederike Becht) zugewiesen wird, reagiert Jenny zunächst unfreundlich. Sie hat Angst, bevormundet und beurteilt zu werden. Doch Marla gewinnt ihr Vertrauen, und so entschließt sich Jenny, ihre Schwangerschaft endlich ernst zu nehmen und sich um einen Mutter-Kind-Platz im Gefängnis zu bemühen.

Drehbuchautorin und Regiedebütantin Chiara Fleischhacker hat sich ein wichtiges Thema vorgenommen, das ein Tabu berührt: Mütter im Gefängnis, mit deutlicher Kritik an den Behörden, die sich humanen Lösungen oft verweigern. Zunächst schildert die Regisseurin fast dokumentarisch den Alltag der Hauptfigur, mit Partys, Drogenrausch und Sex, aber auch mit Kater, Abschottung und Unzufriedenheit. Einmal bezahlt Bolle ihr eine Maniküre; sie darf sich wünschen, was sie will, und Jenny freut sich riesig über ihre neuen schicken Fingernägel. Ein kleiner Glücksmoment, der auf die Bescheidenheit ihrer Träume verweist.

Die Kamera von Lisa Jilg rückt dabei ganz nahe an Jenny heran und blickt ihr quasi über die Schulter, porträtiert ihre Lebensgier, ihre Verletzlichkeit und ihre Hoffnung. Hauptdarstellerin Emma Nova interpretiert diese Figur mit intensiver Körperlichkeit und großer emotionaler Wucht – eine bewunderungswürdige Darstellung. Als wichtige Nebenfigur erweist sich dabei Marla (Friederike Becht), die die Freundschaft zu Jenny zwar ablehnen muss, sie aber in ihrem Gartenhäuschen wohnen lässt, damit sie aus ihrem alten Umfeld entfliehen kann.

Allmählich kristallisieren sich so, ganz ohne Klischees oder Vorurteile, die Widersprüche in Jennys Gefühlsleben heraus, bis sie eine Veränderung durchmacht, auch äußerlich. In einer symbolträchtigen Szene werden ihr im Gefängnis die überlangen bunten Fingernägel abgeschnitten. Ihr altes Leben ist nun vorbei. Ultraschallaufnahmen des Ungeborenen und der rasend schnelle Herzschlag, aber auch die Warnung, dass das Baby über die Nabelschnur, jene Vena, die der Filmtitel meint, nicht nur Nahrung, sondern auch Gifte aufnimmt, führen Jenny ihre Verantwortung vor Augen.

Um den Realismus des Films zu betonen, zeigt die Regisseurin sogar eine echte Geburt. Die Anstrengung des Gebärens, das Wunder des neuen Lebens, steht dabei im krassen Gegensatz zur Drohung der Behörden, der Mutter das Kind wegzunehmen.

Das Ende bleibt bewusst offen, auch wenn es so etwas wie Hoffnung gibt. Einmal lässt Jenny ihren Freund den Anrufbeantworter neu besprechen und besteht darauf, dass das Wort “Familie” in der Ansage vorkommt. Ein anderes Mal holt sie mitten im Sommer für Lucas einen Schneeball aus dem Kühlfach, den sie im Winter dort hineingelegt hatte. Schneebälle zu jeder Jahreszeit – was für ein schönes Versprechen.