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US-Krankenversicherung: Festgefahren in der Krise

Millionen US-Amerikanern droht im Januar ein drastischer Anstieg ihrer Krankenversicherungsprämien. Viele Betroffene werden sich das nicht leisten können. Wie könne es sein, dass man mehr für die Krankenversicherung aufbringen müsse als für die Miete, zitierte die gemeinnützige Gesundheitsstiftung Kaiser Family Foundation (KFF) eine 64-jährige Frau aus Kalifornien. Die Prämie für sie selbst und ihren Ehemann könnte demnach künftig mit 2.400 statt 1.000 Dollar im Monat fast zweieinhalbmal so viel kosten wie bisher.

Doch ob noch etwas passiert in Washington, ist fraglich. Der US-Senat hat vor der Weihnachtspause Reforminitiativen abgelehnt. Im Repräsentantenhaus wird noch diskutiert. Präsident Donald Trump ist unter Druck. Er schwankt zwischen der urrepublikanischen Idee der persönlichen Eigenverantwortung für die Gesundheitsversorgung und den Ängsten vieler Wählerinnen und Wähler vor finanziellem Ruin durch hohe Arzt- und Versicherungsrechnungen. Dabei verspricht Trump seit Jahren eine bessere Krankenversicherung.

Bei der aktuellen Krise geht es vornehmlich um „Obamacare“. Rund 24 Millionen Menschen nutzen das im Jahr 2010 gegen republikanischen Widerstand eingeführte „Affordable Care“-Versicherungskonzept. Es ist für Menschen da, die nicht alt genug sind für Medicare (die staatliche Versicherung für Senioren), zu viel verdienen für Medicaid (die staatliche Versicherung für die Ärmsten und manche Behinderte) und nicht über den Job versichert sind, wo der Arbeitgeber einen großen Teil der Prämien zahlt.

Dabei ist Obamacare keine klassische Versicherung, sondern ein komplizierter Mechanismus, bei dem die Bundesstaaten ihren Bürgerinnen und Bürgern helfen, kommerzielle Versicherungen abzuschließen. Der Staat subventioniert das bei Personen mit einem Einkommen zwischen der Armutsgrenze (15.650 Dollar im Jahr für eine Einzelperson) und dem vierfachen der Armutsgrenze. Also de facto bei den meisten.

Der demokratische Präsident Joe Biden hatte diese öffentlichen Zuschüsse während der Corona-Pandemie ausgebaut. Doch eben nur bis zum Jahresende 2025. Nach Berechnung der KFF müssen viele Versicherte ab dem Jahreswechsel doppelt so hohe Prämien bezahlen. Oder sie weichen auf kostengünstigere Policen mit weniger Leistungen aus. Oder sie steigen aus dem Versicherungsschutz aus. Rund acht Prozent der US-Amerikaner haben laut Regierungsangaben gegenwärtig gar keine Versicherung. Vor dem Start von Obamacare waren es 16 Prozent.

Das US-Gesundheitswesen wird dominiert von profitorientierten Versicherungskonzernen. Selbst relative „gute“ Versicherungen greifen stets erst nach beträchtlichen finanziellen Eigenleistungen oder sie erfordern Zuzahlungen von Tausenden Dollar für Medikamente und Behandlungen. Laut einer Studie von Mitarbeitenden des Verbraucherschutzbüros hatten im vergangenen Jahr mehr als ein Drittel (36 Prozent) der US-Haushalte Schulden, die durch medizinische Behandlung entstanden sind.

Die Misere hat tiefe Wurzeln. Mitte der 1940er Jahre machte der demokratische Präsident Harry Truman einen „radikalen“ Vorschlag: Man könne doch einfach eine nationale Krankenversicherung einführen, finanziert durch Beiträge, die vom Lohn abgezogen werden, so wie die Beiträge zur damals neuen Rentenversicherung „Social Security“. Die Initiative scheiterte krachend. Das sei Sozialismus und zu belastend für die Arbeiter. Der Ärzteverband und die Handelskammer mobilisierten dagegen. 80 Jahre danach hat sich das Niveau der Debatte nicht wirklich verändert.

Die Idee von einer staatlichen Krankenversicherung, wie man sie vielerorts in Europa und auch in Deutschland hat, bleibt in den USA in weiter Ferne. Selbst Präsident Barack Obama hatte bei „Obamacare“ die Idee aufgegeben, als Teil der Reform eine staatliche Krankenversicherung einzurichten.

In den Tagen vor der Weihnachtspause versuchten demokratische Politiker noch eine Rettungsaktion, um Bidens Obamacare-Subventionen um drei Jahre zu verlängern. Die Führung der Republikaner im Kongress und Präsident Trump sind jedoch dagegen. Wie der Sender ABC berichtete, hat der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner Mike Johnson, einen mehr als 100 Seiten langen Entwurf mit dem Ziel vorgestellt, die Gesundheitskosten zu reduzieren. Verlängerte Subventionen sind nicht vorgesehen.