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Unter der Lupe

Die Tagung „Arme habt ihr alle Zeit!“ zeigte Möglichkeiten und Voraussetzungen für eine gelingende sozialraumorientierte Arbeit mit armen Menschen auf

marrishuanna - stock.adobe.com

„Künftig werde ich meine Gemeinde mit anderen Augen sehen.“ – „Ich werde jetzt mal mit den Bewohnern in der Gartenstraße in Kontakt kommen.“ So und ähnlich resümierten Teilnehmende der Tagung „Arme habt ihr alle Zeit!“, die im März in Haus Villigst von Landessozialpfarrerin Heike Hilgendiek und von Sozialreferent Axel Rolfsmeier angeboten wurde.
„Armut in einem reichen Land – eine Herausforderung für die Kirche und ihre Diakonie“ titelte der Vortrag von Professor Benjamin Benz, der an der Evangelischen Hochschule Bochum lehrt. Kern seiner Aussagen war, dass die Schere zwischen ganz arm und ganz reich in Deutschland immer mehr auseinandergeht. Die Lebenslagen von Menschen  an den „Unter- und Oberkanten“ der Gesellschaft wurden von ihm beleuchtet.

Den eigenen Stadtteil analysieren

Darüber hinaus betrachtete er die Herausforderung für Kirchengemeinden, arme Menschen nicht nur als Empfänger von Almosen zu betrachten, sondern sie als Gemeindeglieder zu beteiligen. „Arme und benachteiligte Menschen sind wenig bis gar nicht in unseren Gemeinden als Mitentscheider, beispielsweise im Presbyterium, vertreten“, stellte Axel Rolfsmeier fest. „Das ist nicht ungewöhnlich. Menschen, die sich jahrelang abgehängt fühlen, entwickeln in der Regel immer weniger Interesse an Mitgestaltung“, fasste Rolfsmeier auch Erfahrungen aus dem Projekt „Nachhaltigkeit nimmt Quartier“ zusammen.
Die intensive Betrachtung des eigenen Stadtteils, unterschiedliche Analysemethoden und eine Sammlung von frei zugänglichen Informationsquellen im Internet standen in einem nächsten Schritt auf dem Programm. Diplom-Ingenieur Moritz Schmidt von der Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 NRW (LAG 21), einem unabhängigen Netzwerk für Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik, erläuterte Methoden der Sozialraum­analyse, zeigte anhand von Fallbeispielen die Lebenssituationen in benachteiligten Stadtteilen auf und ermutigte zur Analyse des eigenen Stadtteils.
Im Workshop hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, eine neue, tiefere und veränderte Sichtweise zu erlangen. Die positive Bedeutung fasste ein Teilnehmer so zusammen: „Mit diesen Zahlen kann ich auch andere überzeugen und sachlich darlegen, wo wir anpacken müssen.“
Wie eine praktische sozialraumorientierte Arbeit mit armen Menschen aussehen kann, wurde anhand von zwei Beispielen aus der Evangelischen Kirche von Westfalen dargestellt. Ramona Glodschei und Jörg Krunke präsentierten ihre Arbeit im Marler Stadtteil Hüls-Süd, Martin Schwerdtfeger und Markus Wessel stellten ihren Einsatz in Hagen-Wehringhausen vor. Erfreuliche, ermutigende und herausfordernde Erfahrungen von Referierenden und Teilnehmenden fanden hier ihren Platz und boten die Möglichkeit, neue Anregungen für die eigene Tätigkeit mitzunehmen.

Kirche bringt Akteure zusammen

Ein Vortrag von Marcel Temme, Referent für Demographie am Institut für Kirche und Gesellschaft, beschäftigte sich mit der Altersarmut. Er zeigt Gründe für Altersarmut auf und ging der Frage nach, was Kirchengemeinden heute tun sollten, und welche sozialpolitischen Forderungen gestellt werden müssen, um Altersarmut „übermorgen erfolgreich zu verhindern“.
„Die gesamte Tagung stand unter dem Eindruck der Abwechslung: hören, verarbeiten und das zukünftige Tun für die Arbeit in der eigenen Gemeinde planen. Das ist gelungen“, resümierte Landessozialpfarrerin Heike Hilgendiek. Der Fachbereich Wirtschaft, Arbeit und Soziales im Institut für Kirche und Gesellschaft bietet regelmäßig Tagungen zu sozialen Themen an. „Wichtig ist uns, nicht nur festzustellen und zu beklagen, sondern Ideen zur Verbesserung zu entwickeln“, fasste Hilgendiek den Anspruch zusammen.
„Das IKG wird auch im nächsten Jahr eine Tagung zum Thema Armut und soziale Lage in Deutschland anbieten“, kündigte Axel Rolfsmeier an. „Es ist uns wichtig, verschiedene Akteure und Perspektiven aus Kirche, Dia­konie, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft zusammenzubringen. Armutsbekämpfung ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die alle angeht und die keiner allein stemmen kann.“ IKG