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Uni Löwen – Hort des Lateinischen und theologisches Widerstandsnest

Viele bewegte Zeiten hat die Uni Löwen in den 600 Jahren ihrer Geschichte mitgemacht. Im belgischen Sprachenstreit hat es sie 1968 sogar mitten entzweigerissen. Ein historischer Spaziergang.

Das Trauma um den Vor-Reformator Jan Hus und seinen Ketzertod auf dem Scheiterhaufen wirkte noch nach; seine aufrührerischen Ideen lagen noch in der Luft. Wohl deshalb fürchtete Papst Martin V. (1417-1431) mit einer neuen Universität ein weiteres theologisches Widerstandsnest dort oben im dunklen Norden Europas. Daher genehmigte er – zunächst – keine Theologische Fakultät.

Doch mit seiner päpstlichen Gründungsurkunde vom 9. Dezember 1425 durfte vor 600 Jahren in Flämisch-Brabant immerhin eine von bis dahin nicht mehr als 50 Universitäten in Europa neu an den Start gehen: in Löwen, niederländisch Leuven. Was man hoffte, aber damals natürlich noch nicht wusste: Die Hochschule hatte eine glänzende Zukunft vor sich, war über Jahrhunderte ein Hort der Latinität in den Niederlanden.

Doch warum Löwen? Die Woll- und Tuchstadt am Flüsschen Dijle, an einer alten Römerstraße gelegen, war lange Zeit Hauptstadt des Herzogtums Brabant, hatte jedoch seit Mitte des 14. Jahrhunderts klar an Bedeutung gegenüber dem benachbarten Brüssel verloren. Die Gründung der Universität war Teil einer Offensive der Stadt Löwen und auch des jungen Herzogs Johann IV., wieder Boden gut zu machen.

Unterrichtssprache war natürlich Latein – die Sprache der Gebildeten, die der Vatikan gerade zuletzt zu einer unter mehreren seiner Amtssprachen herabgestuft hat. Es waren nicht die höchsten Gesellschaftsschichten, die sich im 15. Jahrhundert für ein Studium entschieden. Der hohe Adel nahm die Dienste von Privatlehrern in Anspruch; der Besuch einer Universität schien unter seiner Würde.

Allerdings gab es auch schon damals Stipendien reicher Wohltäter für wenig Begüterte. Aus den lateinischen Vorlesungen galt es, sich Notizen zu machen – denn es gab ja noch kaum Bücher, um den Lernstoff nachzulesen. Dafür hatte aber immerhin eine mittelalterliche Universität als eigenständige Körperschaft einen steuerfreien Bier- und Weinkeller; neben eigenen Gerichten, einer eigenen Polizei und einem eigenen Gefängnis.

Die Uni Löwen machte ihren Weg – und Jahrhunderte später hat Papst Martin V. am Ende doch noch Recht bekommen: Sie wurde ein theologisches Widerstandsnest. Erst nahm hier der Jansenismus seinen Ausgang, benannt nach seinem Hauptvertreter Cornelius Jansen (1585-1638), der mit Martin Luther und Johannes Calvin die Notwendigkeit göttlicher Gnade für die Erlösung betonte und sich gegen den Vorrang des Papstes richtete.

Dann, in der Zeit der Aufklärung, folgte von dem Löwener Gewächs und Trierer Weihbischof Johann Nikolaus von Hontheim (1701-1790) ein Widerstandsbuch gegen den wachsenden päpstlichen Zentralismus, veröffentlicht unter dem Pseudonym Justinus Febronius. Der “Febronianismus” trug deutlich staatskirchliche Tendenzen – und kam entsprechend in Rom eher mittelgut an.

Später, viel später noch studierte und lehrte auch der Jesuitenschüler und Priester Georges Lemaître (1894-1966) in Löwen, der Begründer der Urknalltheorie. Auch nicht eben eine wissenschaftliche Erkenntnis, die im Vatikan Begeisterung auslöste. Lemaîtres Professur in Löwen datiert auf 1925, also exakt zum 500-Jahr-Jubiläum der Uni.

Das war dann allerdings schon eine ganz andere Universität Löwen. 1797 von den revolutionären Franzosen aufgehoben, wurde sie nach einem kurzen Gastspiel als niederländische Reichsuniversität (ab 1817) kurz nach Belgiens Staatsgründung 1834 von den belgischen Bischöfen als “Katholische Universität” neu belebt.

Ein neues Gewitter über die ohnehin regenreiche Region brachte dann in den 1960er Jahren der belgische Sprachenstreit, der nach dem Zweiten Weltkrieg viele Blüten trieb. Die Lage war verfahren: Die französischsprachigen Wallonen hatten ihre einstige wirtschaftliche Übermacht durch Kohle und Stahl eingebüßt – die sie die Flamen allzu lange durchaus hatten spüren lassen. Nun bekamen die Flamen Oberwasser, die früh auf den sich entwickelnden Dienstleistungssektor setzten.

Belgien bildete sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem föderalistischen Staat um; und die allseitigen Empfindlichkeiten erfassten auch und vor allem den Bildungssektor. Die Flamen wünschten sich nun eine flämische Uni – und eine neue, zweite, französischsprachige jenseits der Sprachgrenze.

Die belgischen Bischöfe ordneten zwar im Mai 1966 den Verbleib beider Sprachgruppen in Löwen an. Doch per Federstrich weggewischt zu werden, kam bei den Flamen äußerst schlecht an. Nach den Studentenunruhen im “belgischen Mai” 1968 scherten dann die flämischen Bischöfe aus. Auf ihren Druck hin entschied man im Herbst zugunsten zweier räumlich getrennter Universitäten: der Katholieke Universiteit Leuven und der Université catholique de Louvain.

Das brüskierte nunmehr umgekehrt die Wallonen. Sie fühlten sich aus der jahrhundertealten Lehrstätte regelrecht ausgewiesen. Schlussendlich aber spaltete man sich in Leuven und Louvain-la-Neuve; seit 1971 berufen sich zwei getrennte Traditionen auf nunmehr 600 Jahre Uni-Geschichte.

Eine hübsche Legende war dabei, dass die altehrwürdige Bibliothek quasi nach geraden und ungeraden Signaturen auseinandergerissen worden sei. Doch die seit dem Spätmittelalter gewachsenen wertvollen Altbestände waren im Ersten Weltkrieg verbrannt; ebenso 1940, im Zweiten Weltkrieg, die neu aufgebaute Bibliothek. Das Archiv mit seinen Handschriften dagegen war nach der Aufhebung der Universität durch das napoleonische Frankreich 1797 Teil des Staatsarchivs geworden. So blieb es bis heute vollständig und unversehrt – und gehört seit 2013 zum Weltdokumentenerbe der Unesco.

Auch Papst Franziskus (2013-2025) konnte sich auf seiner vorletzten Auslandsreise im Herbst 2024 beim Besuch der beiden Universitäten von Löwen einen Eindruck vom widerständigen Geist der Alma Mater machen. Entgegengesetzte Auffassungen zum Thema Geschlechterrollen zwischen dem alten Papst und einer jungen, akademischen Katholiken-Generation prallten hier heftig aufeinander. Löwen – eben ein Widerstandsnest.