Pausengespräche: Schülerinnen und Schüler einer zehnten Klasse bewegen die schrecklichen Bilder im Fernsehen von getöteten und fliehenden Menschen; es geht um den Syrienkrieg. „Das macht einen hilflos – kann dort überhaupt noch Frieden werden?“, sagt eine von ihnen. Andere wissen Bescheid über Rüstungsexporte, analysieren die Ursachen für den Konflikt, sind bald schon bei den Terroranschlägen weltweit, aber auch beim Zusammenhang von Frieden, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit. Im Religionsunterricht setzen sie sich mit der Friedensbotschaft der Bibel auseinander.
„An unserer Schule“, so erzählen Lehrende bei einer Fortbildung zum Interreligiösen Lernen an einer Gesamtschule, „stehen interkultureller und interreligiöser Dialog ganz oben auf dem Programm. Es gibt gute Lern-Programme gegen Hate Speeches (Hassreden), Gewalt und Hass im Netz. Wir sehen auf das Friedenspotenzial der Religionen.“
Aber unter den Lehrerkräften gibt es auch Zweifel: „Wie ist eine Erziehung zum Frieden in einer Welt der organisierten Friedlosigkeit eigentlich möglich? Amokläufe und Mobbing nehmen zu. Gibt es wirklich die friedensstiftende Kraft der Bildung oder müssen wir sie auch entzaubern?“
Szenenwechsel: Ein Projekttag an der Kaufmannschule II in Hagen. 40 Jugendliche einer Klasse 11 des Berufskollegs diskutieren über den Wegfall der allgemeinen Wehrpflicht. Sie sehen sich nicht mehr automatisch mit der Aufgabe konfrontiert, sich persönlich mit friedensethischen Fragen auseinanderzusetzen. Doch die sicherheitspolitische Lage und vermehrte Auslandseinsätze der Bundeswehr fordern sie heraus, sich mit der Frage zu befassen, welche Formen der Konfliktregelung es geben könnte.
Die Fotoausstellung „Peace-Counts“, die aus dem Pädagogischen Institut zu ihnen gekommen ist, zeigt Beispiele erfolgreicher Friedensmacherinnen und -macher in ehemaligen oder aktuellen Konfliktregionen rund um den Globus. Journalisten aus aller Welt haben Reportagen über die „Peace-Maker“ erstellt: Von Nordirland über Mazedonien, von Kolumbien bis Südafrika, von Indonesien bis Deutschland.
In fünf Stationen bearbeiten die Jugendlichen verschiedene Fragen: Welche Bedürfnisse stehen hinter Kriegen und Konflikten? Wie können sie gewaltfrei gelöst werden? Welche Eigenschaften müssen Friedensmacher besitzen? Wie hängen die Absicherung sozialer Grundbedürfnisse und Frieden zusammen? Wie gestaltet sich Friedensjournalismus?
Mit Interviews und kleinen Rollenspielen, beim Schreiben von Geschichten und in kontroversen Diskussionsrunden üben die Schülerinnen und Schüler, was faire, gewaltfreie Konfliktlösungen im Alltag sein können. Sie überlegen, welches der dargestellten Projekte sie am meisten überzeugt und wo sie gerne mitmachen möchten.
Friedensbildung an Schulen geschieht in verschiedenen Spannungsfeldern und kennt verschiedene Formen. Sie knüpft an die verschiedenen Lernfelder der Curricula an. Sie weist offenkundige Schnittstellen zu bekannten und in der Praxis bereits erfolgreich angewandten Konzepten wie dem Globalen Lernen, der Bildung für Nachhaltige Entwicklung und Programmen zur Gewaltprävention und Antirassismusarbeit auf.
Die Verantwortung zur Friedensbildung an Schulen ist deutlich im Schulgesetz von Nordrhein-Westfalen verankert. In Paragraph 2 heißt es dazu im zweiten Absatz:
„(…) Die Jugend soll erzogen werden im Geist der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und zur Friedensgesinnung.“
Das Thema Friedens- und Sicherheitspolitik ist in der Schule dabei in der gebotenen Ausgewogenheit zu behandeln. Dazu gehört, dass auch den Organisationen der Friedensbewegung wie der Bundeswehr die Möglichkeit zur Darstellung ihrer Positionen im Unterricht gegeben werden kann. So schreibt es der Erlass des NRW-Ministeriums für Schule und Weiterbildung (MSW) vom 29. September 2011 vor.
Auf der Grundlage des kirchlichen Leitbildes vom „Gerechten Frieden“ haben die drei evangelischen Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen immer wieder in synodalen Beschlüssen festgelegt, die Schulen in ihrem „Bildungsauftrag der Friedenserziehung“ zu unterstützen. Neben Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer im Bereich der Friedenspädagogik gibt es seit 2013 in den Pädagogischen Instituten auch eine Zertifizierung für Referentinnen und Referenten für Friedensbildung an Schulen.
Die Kooperationspartner in diesen Fort-und Weiterbildungen kommen unter anderem aus dem Bereich der kirchlichen Jugendarbeit, den Freiwilligendiensten, den Evangelischen Akademien, der Gewaltakademie e.V., dem Netzwerk für Friedensbildung in NRW, der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Friedensfragen und bundesweiten Institutionen für kirchliche Friedensbildung.
36 Referentinnen und Referenten sind mittlerweile ausgebildet worden. Sie beraten Fachschaften, gestalten Unterrichtseinheiten und beteiligen sich an der Gestaltung von Schulprojekten oder Schulwochen. Dazu gehören zum Beispiel Diskussionen mit Jugendoffizieren der Bundeswehr über Sicherheits-und Friedenspolitik, Unterrichtsstunden zur christlichen Friedensethik, Rollenspiele zur gewaltfreien Konfliktlösung und Friedens-Planspiele.
Sie zeigen Möglichkeiten auf, wie Menschen sich aus der Zivilgesellschaft heraus aktiv für den gesellschaftlichen und internationalen Frieden und zivile Konfliktlösungen einsetzen können. Durch ihre Arbeit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Urteilsbildung von Schülerinnen und Schülern in Fragen persönlicher Friedens- und Gewissenentscheidungen. Wie heißt es dochbei Jesaja (Kapitel 2, Vers 4): „Und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“
• Liste der Referentinnen und Referenten für Friedensbildung an Schulen und Materialien sowie Fortbildungsangebote: www.pi-villigst.de/projekte/friedensbildung-an-schulen.html.
Pfarrerin Ursula August ist Dozentin am Pädagogischen Institut in Villigst für Friedensbildung und interreligiöses Lernen.