Umfrage: Jüdische Gemeinden zwischen Ängsten und Vertrauen

Teilweise gehen Juden mit Kippa oder Davidstern gar nicht mehr nach draußen. Die Verunsicherung in Deutschland ist seit dem Terror der Hamas in Israel größer geworden. Eine Umfrage zeigt jetzt differenzierte Ergebnisse.

In jüdischen Gemeinden in Deutschland herrscht große Verunsicherung – zugleich aber auch Vertrauen in die Polizei. Die Gemeinden erfahren außerdem viel Solidarität, unter anderen von den Kirchen: Eine Umfrage des Zentralrats der Juden in Deutschland unter jüdischen Gemeinden vor dem Hintergrund von Terror und Krieg in Israel zeigt ein differenziertes Bild. „Die Ambivalenz der Ergebnisse ist in dieser Form eine wirkliche Neuigkeit und eine wichtige Erkenntnis“, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster.

Das neue Lagebild wurde am Mittwoch in Berlin veröffentlicht. Dafür hatten vom 20. bis zum 30. November an einer Online-Umfrage die Führungspersönlichkeiten von 98 der 105 jüdischen Gemeinden in Deutschland teilgenommen. Dabei handelte es sich um Vorsitzende von Gemeinden und Landesverbänden. Ein weiteres Ergebnis: „Die momentane Lage bringt die jüdischen Gemeinden an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit.“

Der Umfrage zufolge wirkt sich die Situation im Zusammenhang mit dem Krieg in Israel auf 68 Prozent der Gemeinden negativ aus: Angst vor Angriffen sowie weniger Besucherinnen und Besucher. 78 Prozent der Führungspersonen gaben an, dass es unsicherer geworden sei, als Jüdin oder Jude hierzulande zu leben und sichtbar zu sein. So gebe es ein Unsicherheitsgefühl im öffentlichen Raum, Angst um die Zukunft jüdischer Kinder und eine Sorge um die Perspektive des jüdischen Lebens in Deutschland.

Zwar zeigten sich 96 Prozent der Befragten zufrieden mit der Zusammenarbeit mit Polizei und Sicherheitsbehörden, 4 Prozent waren teils zufrieden. Allerdings halten 39 Prozent Sicherheitsmaßnahmen in ihren Gemeinden nicht für ausreichend. So hätten 43 Prozent der Gemeinden Veranstaltungen schon einmal wegen Sicherheitsbedenken abgesagt. 69 Prozent der Gemeinden beobachten eine geringere Teilnahme von Mitgliedern am Gemeindeleben. Besonders betroffen seien Senioren, Familien mit Kindern und Jugendliche.

In 32 Städten kam es dem Lagebild zufolge zu antisemitischen Vorfällen, die sich explizit gegen Gemeinden richteten. Mehrheitlich seien dies Zuschriften, Drohanrufe, E-Mails, Schmierereien und persönliche Beleidigungen gewesen.

Zugleich gaben 60,3 Prozent der Befragten an, dass ihre Gemeinde Unterstützung und Solidarität seitens der Bevölkerung erfahre, 35,9 Prozent sagten teilweise, 4,8 Prozent verneinten das. Die wichtigsten Unterstützer seien Polizei, die jeweilige Stadt, Landesregierungen und Kirchengemeinden. 46,3 Prozent der Befragten standen in Kontakt zu örtlichen Moscheegemeinden oder muslimischen Organisationen.

Das alles habe zur Folge, dass sich 64 Prozent der Vorsitzenden verstärkt mit der Arbeit der Polizei beschäftigten, in Seelsorge und Unterstützungsarbeit für Israel sowie in Öffentlichkeitsarbeit eingebunden seien, hieß es. 67 Prozent der Gemeinden bieten für ihre Mitglieder zusätzlich psychosoziale Hilfe und Gesprächsrunden an, 43 Prozent leisten Hilfe für Israelis in Deutschland.

„Antisemitismus, ob islamistisch, rechtsextrem oder linksradikal ist immer auch ein Angriff auf unsere offene Gesellschaft und unseren Rechtsstaat“, betonte Schuster. „Aus dem Lagebild lese ich ein großes Vertrauen der Jüdischen Gemeinden in die lokalen politischen Institutionen sowie die Sicherheitsbehörden. Dass es trotz dieses Vertrauens eine hohe Verunsicherung in den Gemeinden gibt, ist ein Warnsignal für die gesamte Gesellschaft.“