Einschläfern: Schwierige Entscheidung am Lebensende des Haustieres

Bei Menschen ist aktive Sterbehilfe verboten. Bei alten und schwerkranken Haustieren ist es dagegen üblich, ihr Leben vom Tierarzt beenden zu lassen. Für viele Tierhalter eine belastende Entscheidung.

Sterbehilfe für Haustiere ist nicht nur erlaubt – oft ist sie moralisch geboten
Sterbehilfe für Haustiere ist nicht nur erlaubt – oft ist sie moralisch gebotenImago / agefotostock

Zehn Jahre begleitete „Würfel“ Monika Kleinemas durch ihr junges Leben. In unsteten Zeiten zwischen Lernen, Schulabschluss, Studium, erstem Job, Zusammenziehen und Trennung vom ersten Freund war die Katze stets an ihrer Seite. Eines Tages merkte sie, dass mit ihrem Tier etwas nicht stimmte und ging mit ungutem Gefühl zum Tierarzt. Als während einer Operation ein großer Tumor entdeckt wurde, legte der Arzt ihr nahe, die Katze nicht wieder aufwachen zu lassen.

„Da der Befund unklar war, habe ich mich vorher von ihr verabschiedet – und ganz doll gehofft, dass es nicht so schlimm ist“, erinnert sich die heute 32-Jährige: „Es ist nicht leicht, den richtigen Zeitpunkt für die Entscheidung zu finden.“ Zugleich wollte sie ihrem Tier kein weiteres Leid zumuten: „Warum sie aufwachen lassen, nur um sie noch einmal in den Arm zu nehmen?“ In der Situation sei sie überfordert und in einer emotionalen Ausnahmesituation gewesen. Geholfen habe ihr die Einschätzung des Tierarztes, „dass nur Einschläfern einen Sinn macht“.

Der Unterschied zwischen Mensch und Tier

Aber: Dürfen Menschen aus moralischer Sicht über Leben und Tod ihres Haustiers bestimmen? Schließlich gibt es nicht ohne Grund beim Menschen strenge Vorgaben, wenn es um Sterbehilfe geht. Der Münsteraner Theologe und Begründer des Instituts für Theologische Zoologie Rainer Hagencord gibt zu bedenken, dass Menschen auch bei ihren Angehörigen – bei einem dramatischen Verlauf – vor der Entscheidung stehen könnten, lebenserhaltende Maschinen abstellen zu lassen, wenn dies in der Patientenverfügung so gewünscht werde.

Was ist also der entscheidende Unterschied zwischen einem sterbenden Hund und der sterbenden Großmutter? Die Biologie, so Hagencord, tue sich zunehmend schwer mit einer radikalen Trennung – hier der Mensch, dort das Tier. So gebe es etwa zwischen Schimpansen und Menschen genetisch nur graduelle Unterschiede: „Weil wir aber trotz allem die Verantwortung für unser Haustier tragen, habe ich nach sorgsamem Abwägen keine moralische Bedenken, bei schwerer Krankheit oder gravierenden Altersgebrechen das Leben des Tieres beenden zu lassen.“

Rainer Hagencord
Rainer HagencordImago / Horst Galuschka

Auch Peter Kunzmann, Tierethiker an der Tierärztlichen Fachhochschule Hannover, weiß um das Ringen um die ethische Frage. Bei der Überlegung, ob das Leben von Menschen am Ende verkürzt werden dürfe, werde mitunter argumentiert: „Bei Tieren machen wir das ja auch“. Umgekehrt könnte sich in der Tiermedizin die Frage stellen: „Warum sollen wir Tiere einschläfern, warum kann man sie nicht so sterben lassen?“

Sterbehilfe ist Tierschutz

Dass Tiere „friedlich einschlafen“, wie sich dies jeder Tierhalter wünsche, sei aber die Ausnahme, gibt Kunzmann zu bedenken. Wer nicht eingreife, trage die Verantwortung dafür, dass ein Tier in einer Situation leide, von der es selbst keinen Mehrwert mehr habe – „das muss man gut rechtfertigen können“. Und: „Bei Menschen hat man es mit einem Wesen zu tun, das über das eigene Sterben in seinem Lebensentwurf reflektieren und seine Wünsche am Lebensende zu Protokoll geben kann – das ist beim Tier fundamental anders.“

Der Deutsche Tierschutzbund spricht sich dafür aus, dass Tiere als Familienmitglieder „in Würde sterben dürfen“, erklärt Pressereferentin Nadia Wattad. Das Einschläfern unheilbar kranker Tiere, die nur unter Schmerzen, Leiden oder Schäden weiterleben könnten, sei „ein selbstverständliches Gebot des Tierschutzes“. Zudem sei die Einschläferung für das Tier schmerzlos und dürfe nur von einem Tierarzt durchgeführt werden.

Wenn dies in der Tierarztpraxis geschehen soll, rät Wattad zu einem Termin am Ende der Sprechstunde – „so fällt dort keine Wartezeit an, und die Tierhalter können sich in ruhiger Atmosphäre von ihrem Liebling verabschieden“. Zudem sollten sie sich rechtzeitig überlegen, wer in diesem Moment dabei sein sollte. Für das Tier sei es am besten, wenn eine vertraute Person anwesend sei.

Euthanasie fällt schwer

Wie aber Umgehen mit Schuldgefühlen, die mit dem Einschläfern eines Haustiers verbunden sein können? „Schuldgefühl ist Schuldgefühl“, sagt Hagencord, „egal, ob es sich um den verstorbenen Großvater handelt, um den ich mich vielleicht zu wenig gekümmert habe, oder der Hund, den ich beim Tierarzt habe einschläfern lassen.“ Sätze wie „Stell dich mal nicht so an, ist ja nur ein Tier“ seien absolut fehl am Platz, „wenn ich ein Tier als beseeltes und geliebtes Mitgeschöpf wahrnehme, das zur Familie gehört“.

Tierethiker Kunzmann hält dennoch nichts davon, das Einschläfern herauszuzögern, damit sich beispielsweise abwesende Familienmitglieder noch verabschieden können. „Das Tier hat in der Regel nichts mehr davon“, sagt er. Und gibt zu bedenken, dass es hierzulande mitunter sogar rechtswidrig sei, ein Tier nicht rechtzeitig zu „euthanasieren“, wie das Einschläfern in Fachkreisen auch genannt wird. Dies sei „ein sittliches Gebot des rechtverstandenen Tierschutzes“.

Zugleich beobachtet Kunzmann, dass sich besonders die Deutschen aufgrund ihrer Geschichte mit dem in der Tiermedizin üblichen Betriff „Euthanasie“ („guter Tod“) schwer tun. Hatten doch die Nationalsozialisten unter diesem Begriff abertausende behinderte und schwerkranke Menschen umgebracht.

Eine Herausforderung auch für den Tierarzt

In dieser schwierigen Gemengelage müssten Tiermediziner die Kunst beherrschen, „die Balance zu halten zwischen der nötigen Empathie für das Tier und seinen Halter und der notwendigen professionellen Distanz – es hilft keinem, wenn der Tierarzt in Tränen ausbricht“. Dieser müsse als den Haltern als souveräner, verlässlicher, distanzierter Experte zur Seite stehen, auch wenn die letzte Entscheidung beim Besitzer liege. Wichtig sei eine gute Aufklärung, was beim Einschläfern geschehe und wie schnell die hochdosierten Betäubungsmittel wirkten. „Es kann sein, dass das Tier nochmal atmet oder sich bewegt – aber es spürt nichts mehr“, versichert Kunzmann.

Für einen guten Tierarzt sei das Einschläfern eines Tieres derweil keine stumpfe Routine. Der Tierethiker erinnert sich an einen Mediziner, der nie vergessen habe, wie es war, den ersten Hund einschläfern zu müssen. „Man lernt, Respekt zu haben vor der Mannigfaltigkeit der Vorgänge.“ Jede Mensch-Tier-Beziehung sei individuell; Sensibilität und ein respektvoller Umgang dringend geboten – im Wissen, „wie tief der Tod eines Tieres einen Menschen berühren kann“. Das Einschläfern des Haustieres sei für die Halter „ein sehr massives Erlebnis“.

Das Leben nach dem Tier-Tod

Für manche sei der Verlust ihres Haustieres eine solche Katastrophe, dass sie nie wieder ein Tier haben wollten, sagt Kunzmann. Auch für Monika Kleinemas war der Tod ihrer Katze „ein riesiger Einschnitt“; sie habe ein Stück Halt verloren, weil das Tier neben der Familie ihre engste Begleiterin gewesen sei. Lange konnte sie sich kein Tier mehr an ihrer Seite vorstellen.

„Es war die schlimmste Trauer, die ich bisher erlebt habe“, erinnert sie sich. Sensibilisiert für die Themen Trauer und Tiere arbeitet sie inzwischen als pädagogische Fachkraft im Bielefelder Verein „Laika – Trost auf vier Pfoten“ mit trauernden Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Dabei erzählt sie auch von ihrer Trauer um „Würfel“. „Vor Erwachsenen muss ich das eher rechtfertigen – Kinder verstehen das, sie haben enge, tiefe Bindungen zu Tieren.“

Als nun, fünf Jahre später, ihr Mischlingshund „Rumi“ in ihr Leben trat, habe sie eine weitere Welle der Trauer um ihre Katze durchlebt. Zugleich bedeutet der Neuanfang mit ihrem neuen Vierbeiner für sie, „einen Abschluss dieser Zeit zu finden“.