Trotz Arbeit überschuldet
Die Zentrale Schuldnerberatung (ZSB) in Stuttgart ist eine der größten in Deutschland. 15 Schuldnerberater arbeiten hier in einer Einrichtung vereint, dazu kommen Verwaltungsmitarbeiter und etwa 15 Ehrenamtliche, teils Banker im Ruhestand. Einer der Berater ist Bernd Elsass. Seit 20 Jahren berät er überschuldete Menschen und kennt die klassischen Ursachen von Überschuldung: „Das sind Arbeitsplatzverlust, Krankheit sowie Trennung oder Scheidung.“
Die durchschnittliche Verschuldung derer, die zur Beratung kommen, lag 2023 bei gut 32.000 Euro. „Es können unter 10.000 Euro, aber auch 90.000 Euro sein“, sagt Elsass. Ein extrem schneller Weg zu hohen Schulden seien Online-Glücksspiele. Im Durchschnitt hat ein Schuldner in der Beratung rund 15 Gläubiger.
Rund 40 Prozent derer, die zur Beratung kommen, sind arbeitslos. Dieser Anteil ist seit vielen Jahren in etwa konstant. Doch zunehmend melden sich auch Berufstätige, ihr Anteil lag 2023 bei ebenfalls rund 40 Prozent. Ein großer tarifgebundener Stuttgarter Arbeitgeber finanziert für seine Mitarbeiter eine schnelle Beratung bei der ZSB. „Deren Anfragen haben deutlich zugenommen“, sagt Elsass. Durch die hohen Stuttgarter Mieten und die hohe Inflation kämen immer mehr Menschen mit ihren Verpflichtungen nicht mehr zurecht. Wenn Elsass in den Medien Arbeitgeberforderungen nach einer „Senkung der Lohnkosten“ hört, schrillen bei ihm die Alarmglocken.
Dabei steht die Region Stuttgart bundesweit betrachtet noch gut da: Im Oktober 2023, neuere Zahlen gibt es nicht, waren dort laut Creditreform 6,56 Prozent der Bevölkerung ab 18 Jahren überschuldet, bundesweit waren es 8,15 Prozent – also in etwa jeder Zwölfte. Die Zahlen sind in letzter Zeit etwas gesunken, doch angesichts von Rezession und hoher Inflation erwartet Creditreform einen erneuten Anstieg.
Schuldner sind laut Creditreform überwiegend mittleren Alters und männlich. Während in der Region Stuttgart 8,78 Prozent der 40- bis 49-Jährigen überschuldet sind, sind es nur 2,34 Prozent der Senioren ab 70. Einer Quote von 8,21 Prozent der Männer stehen 4,49 Prozent der Frauen gegenüber. Doch die Altersarmut wächst. „Nach Ende der Erwerbstätigkeit sinkt das Einkommen, aber die Kosten für Unterkunft und Energie steigen weiter“, sagt Elsass.
Er kennt den hohen Leidensdruck der Beratenen: „Überschuldung macht krank.“ Die allermeisten seien hoch motiviert und dankbar für die Unterstützung. „Ich will nie wieder in eine solche Situation kommen“, hört er oft. Durch die große Nachfrage liegt die durchschnittliche Wartezeit für eine Beratung bei rund sieben Monaten. Wenn der Verlust der Wohnung, eine Sperre von Strom oder Gas oder eine Kontopfändung droht, greift die ZSB aber sofort ein – die ausführliche Sozialberatung folgt dann später.
„Wir wollen nachhaltig helfen“, sagt Elsass. Das bedeutet, dass ab dem Beginn der Beratung keine neuen Schulden mehr aufgenommen werden dürfen. Ist der Haushalt nicht im Gleichgewicht, wird nach vermeidbaren Ausgaben und möglichen neuen Einnahmen gesucht: Besteht Anspruch auf Wohngeld? Unterhaltsverpflichtungen werden geklärt, Mahn- und Vollstreckungsbescheide geprüft: „Inkasso ist ein Geschäftsmodell, da können unzulässige Fantasiegebühren enthalten sein.“
Zum ganzheitlichen Ansatz der ZSB, über die eigentliche Entschuldung hinaus, gehört die Frage, wie die Schulden entstanden sind. Alle Berater sind Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter mit einer Zusatzausbildung als Schuldner- und Insolvenzberater. Besteht etwa eine Suchtproblematik, hilft die Kooperation mit anderen Beratungsstellen. Manche Jugendliche, beobachtet Elsass, hätten nie gelernt, mit Geld umzugehen. „Finanzkompetenz gehört an die Schule“, sagt er. Deshalb besucht das Präventionsteam der ZSB Berufsschulen und Azubigruppen. Ein weiteres Problem: „Manchmal werden Kredite zu leicht vergeben, es wird aggressiv für kreditfinanzierten Konsum geworben.“
Die ZSB wird gemeinsam von der „PräventSozial Bewährungshilfe“, der Caritas Stuttgart und der Evangelischen Gesellschaft (eva) getragen. Sie wird zum Großteil von der Stadt Stuttgart und von den Trägern finanziert, die Beratung ist für die Hilfesuchenden kostenlos. Elsass weiß, dass es auch kommerzielle Beratungen gibt, die mit kostenloser Beratung werben und mit Anwaltskanzleien verbunden sind. In solchen Fällen mahnt er zur Vorsicht. Zwar kann die Beratung über einen Beratungshilfeschein finanziert werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen, dieser gelte aber nicht für einen eventuellen Insolvenzantrag. „Mancher Anwalt nimmt dafür 200 Euro, ein anderer 1.000 Euro.“
Die allermeisten Beratungen enden erfolgreich, ob mit einem Insolvenzantrag oder mit einem von den Gläubigern akzeptierten – mit Stiftungsmitteln unterstützten – Vergleich. Das sei seine größte Freude, sagt Elsass: wenn ein Mensch erleichtert aus der Beratung gehen kann – und in der Regel nie mehr wiederkommen muss. (2263/09.10.2024)