Trauerfeier für einsam verstorbene Menschen in Berlin-Neukölln

Jan von Campenhausen, Pfarrer der Fürbitt-Melanchthon-Gemeinde in Berlin-Neukölln, bietet eine Trauerfeier für einsam verstorbene Menschen an. Warum das so wichtig ist, erzählt er uns im Interview.

Viele Menschen sterben einsam. Auch für sie soll es eine würdevolle Trauerfeier geben
Viele Menschen sterben einsam. Auch für sie soll es eine würdevolle Trauerfeier gebenImago / Karlheinz Pawlik

Wer sind die Menschen, die niemanden mehr haben, der sich um ihre Bestattung kümmert?
Jan von Campenhausen: Es fällt auf: Es sind mehr Männer als Frauen. Und in der Regel sind es deutsch klingende Namen, obwohl in Neukölln viele Menschen mit Migrationshintergrund leben. Manche Namen sind als Gäste aus der Winterhilfe in unserer Kirche bekannt. Manchmal erfahren wir durch Nachfragen von Angehörigen von Einzelschicksalen. Im vergangenen Jahr zum Beispiel hörte eine zufällig bei der Gedenkfeier anwesende Frau den Namen ihres kaum gekannten Vaters und unterschrieb im Gästebuch mit „deine zufällig entstandene Tochter“. Oder vor drei Jahren, als ein Mann, dessen Name bei der Feierstunde fiel, als lang vermisster Verwandter identifiziert werden konnte. Und ganz tragisch und ungewöhnlich: ein nur einen Tag alter Säugling, der ordnungsbehördlich bestattet wurde.

Pfarrer Jan von Campenhausen aus Berlin-Neukölln. Foto Katharina Pfuhl
Pfarrer Jan von Campenhausen aus Berlin-Neukölln. Foto Katharina Pfuhl

Sehen Sie einen traurigen Trend in der Großstadt? Woran liegt es, dass die Zahl der einsam Verstorbenen in der Stadt steigt?
Die Stadt ist anonym und hochmobil. Der zunehmende Individualismus führt immer mehr zur Vereinzelung der Menschen, die oft nur noch lose Sozialkontakte haben. Auch die Zahl der Übernachtungen in der Winterhilfe steigt. Die ernüchternde Wahrheit ist: so einsam, wie Menschen leben, so einsam sterben sie auch. Wer arm ist, kann nicht am Miteinander teilhaben, keiner bemerkt das Sterben.

Wie können Kirche und Gesellschaft dem entgegenwirken?
Wie mit den Toten umgegangen wird, sagt viel über den Umgang der Lebenden untereinander aus. Wie schauen wir aufeinander? Wie nehmen wir einander wahr? Die Gesellschaft beginnt zu reagieren, indem Gratulations- und Besucherdienste eingerichtet werden, indem soziale Einrichtungen für Suppenküchen und andere Treff- und Kontaktmöglichkeiten sorgen. Einsamkeit wird befördert durch Armut, ist aber kein exklusives Thema der Armen. Als Kirche sind wir die Orte, wo Menschen zusammenfinden: in Gottesdiensten, in großen und kleinen Veranstaltungen und auch in Chören.

Warum ist es wichtig, die Namen der Verstorbenen zu nennen?
Der Name ist mehr als Schall und Rauch. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen…“, so heißt es beim Propheten Jesaja. Der Name steht für die Person, für den ganzen Menschen. Auf diesen Namen hat er ein ganzes Leben lang gehört. Darum sprechen wir die Namen derer laut aus, die einsam gestorben und bestattet sind. In der Kirche werden die Namen der einsam Verstorbenen so ausgesprochen, dass jeder, der sie hören will, hören kann. Es wird nachgeholt, was bislang noch aussteht.

Wir tun diesen Dienst stellvertretend für die Gesellschaft. Zum Beginn des Gedenkens werden bezirksweit für drei Minuten die Kirchenglocken läuten, um an die einsamen Verstorbenen zu erinnern und ihrer zu gedenken. Das Läuten der Glocken lädt dazu ein, einen Moment innezuhalten und dieses Gedenken zu teilen.

Dankbar sind wir, dass die Gedenkstunde nicht nur ein Handeln der Kirche ist. Der Bürgermeister und der Superintendent sind mit Herz dabei und zeigen Gesicht. Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist es Anliegen, es ebenso zu tun.

Gedenkfeier für einsam Verstorbene, Sonntag, den 21. Januar 2024, 17 Uhr, in der Phillipp Melanchthon Kirche, Kranoldstraße 16, Berlin-Neukölln.