To-do und Bucket: Ein Leben in Listen

To-do-Listen versprechen perfekte Selbstorganisation, Bucket-Listen optimieren Lebensziele. Lässt sich alles vermessen und abhaken? Psychologin Bürgel nutzt nur in Ausnahmefällen Listen mit To-dos.

 In Deutschland heißt Bucket-Liste auch Löffelliste
In Deutschland heißt Bucket-Liste auch Löffellisteepd-bild/Jürgen Blume

Die Dresdner Psychologin Ilona Bürgel bekam viel Aufmerksamkeit, als sie vor fünf Jahren eine Woche lang auf ihre tägliche To-do-Liste im Job verzichtete. Es blieb nicht bei der Woche: „Heute schreibe ich sie gar nicht mehr, nur in Ausnahmesituationen.“

Das Prinzip „To-do-Liste“ scheine erst einmal sinnvoll zu sein: Überblick, Kontrolle, sich gut fühlen, wenn man etwas geschafft habe. „Aber ohne Liste war ich auf einmal konzentrierter, wodurch sich die Themen auch stärker einprägten“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Am Ende ihrer ersten Abstinenz-Woche war ihr klar geworden, „dass die Tendenz, Dinge so schnell wie möglich ‘abzuarbeiten’, uns vom Wunsch, Dinge tatsächlich sinnvoll erledigen zu wollen, entfernt“. Zudem habe sie durch das Loslassen von Kontrolle und Sorge erkannt, wie viele zuverlässige Partner sie um sich habe.

Sind To-do-Listen sinnvoll?

„Die Neuzeit definiert sich über Quantität, darüber, dass Menschen wie Maschinen sind“, sagt Bürgel. Aber: „Niemand kann niemals alles erledigen, To-do-Listen erzeugen nur die Illusion. Wir nehmen uns unrealistisch viel vor, das gibt uns das Gefühl, immer weniger Zeit zu haben. Um in dieser ‘kürzeren’ Zeit mehr zu schaffen, nutzen wir To-do-Listen, ein Teufelskreis.“

Und das tolle Gefühl, etwas Erledigtes von der Liste zu streichen, werde oft geschmälert durch laufend neue Einträge, die lähmen können. Der Fachbegriff dafür lautet Task Paralysis: Der Aufgabenberg ist so hoch, dass man wie paralysiert ist, nicht anfangen kann. Nichts geht mehr.

Auf ihrer Homepage listet Bürgel eine Reihe von Gründen auf, warum To-do-Listen am Arbeitsplatz ungeeignet seien, um Stress zu bewältigen. Dazu zählen: „Wir glauben noch immer daran, einmal alles geschafft zu haben“, was nicht passieren werde, und „Das Gehirn merkt sich am liebsten Unerledigtes“, was wieder zu neuem Stress führe.

Bucket-Liste: Gefühl der Kontrolle

Trotzdem sind To-do-Listen im Alltag sicher für viele Menschen wichtig als Erinnerungsstütze und um ihre Aufgaben zu strukturieren. Während sie aufreihen, was man tun muss, enthält eine Bucket-Liste meist Träume – das, was man im Leben noch tun möchte. In Deutschland heißt letztere auch Löffelliste, denn es geht um Wünsche, bevor man „den Löffel abgibt“. Im Englischen ist „to kick the bucket“ ein umgangssprachlicher Ausdruck für das Sterben.

Verschiedene Formen von Bucket-Listen
Verschiedene Formen von Bucket-Listenepd-bild/Jürgen Blume

Dieser Drang nach „Lebenszielen“ wird auch kommerziell ausgeschlachtet: ausdruckbare Listen mit Vorschlägen wie „ein Musikinstrument lernen“ oder „einen Marathon laufen“ und Ratgeber gibt es etliche. Der berühmteste Bestseller: „1000 Places to see before you die“, eine Liste für Weltreisende.

„Ziele sind wichtig für Menschen“, sagt Alexandra Freund, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Zürich. „Sie geben uns eine Richtung an, in die unser Verhalten gehen soll. Und Bucket-Listen geben ein Gefühl der Kontrolle und Priorisierung.“

Unser Wirtschaftssystem erzeuge einen dauernden Mangelzustand, analysiert sie: „Wenn wir etwas haben, wollen wir das nächste.“ Zwar sei es bei Zielen oft anders: Sei eines erreicht, etwa Abitur, könne ein anderes, Studium, darauf aufbauen. „Doch auch die Zielerreichung löst nur kurzes Wohlbefinden aus, wir suchen ein neues. Wir stecken in einer hedonistischen Tretmühle.“

„Chuck-it-List“ und Dinge, die zufällig passieren

Bucket-Listen, wie sie vielfach in den sozialen Medien geteilt werden, enthalten aus ihrer Sicht keine wirklichen Ziele: „Sie stehen für etwas anderes. Auf ihr stehen meist aufgeschobene Dinge.“ Für Freund ist der Weg zum Ziel entscheidend: „Ist der nicht gut, ist es das Ziel auch nicht.“

Warum vielleicht viel später – oder nie – alleine Marathon laufen, wenn ich jetzt schon mit Freunden wandern kann? Die Qualität des Weges sei maßgeblich dafür, ob uns eine Zielverfolgung zufrieden mache, sagt die Psychologin: „Die ganzen Ratgeber sagen, man solle sich immer auf das Ergebnis konzentrieren. Das ist falsch.“

Der Vater der amerikanischen Philosophin Valerie Tiberius verschob an seinem 75. Geburtstag den Wunsch, noch Spanisch zu lernen, auf seine „Chuck-it-List“ (Wirf-es-weg-Liste). „Er schien ein wenig wehmütig darüber zu sein, aber vor allem erleichtert“, schrieb Tiberius im vergangenen Jahr in der „Washington Post“ und riet dazu, nicht genau das zu verpassen, was nicht auf der Bucket-Liste stehe: „Dinge, die sich Ihnen zufällig bieten und die Sie nicht einplanen konnten, oder Dinge, die Sie als selbstverständlich erachtet haben.“