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Theologin kritisiert Vatikan: Maria ist auch Vorbild in Machtkritik

Maria ist keine Miterlöserin – das sagt der Vatikan in einem neuen Lehrschreiben. Die Tübinger Theologin Johanna Rahner erklärt, warum das wichtig ist. Und welche Sichtweise auf Maria ihr im römischen Lehrschreiben fehlt.

Die Tübinger Theologin Johanna Rahner vermisst im vatikanischen Schreiben zur Rolle Marias einen wichtigen Aspekt. Die in der Bibel auch verankerte Rolle von Maria als revolutionärem Vorbild in Machtkritik werde in dem kürzlich veröffentlichten römischen Schreiben “leider nicht erwähnt”, sagte die katholische Theologin am Donnerstag im Gespräch mit dem kirchlichen Internetportal katholisch.de.

Rahner verweist auf das sogenannte Magnifikat im Lukasevangelium (Lk 1,46). Dort sagt Maria: “Meine Seele preist die Größe des Herrn (…) Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.” Rahner betont: “Wenn Gott die Mächtigen vom Thron stürzt und die Erniedrigten erhöht, dann ist das fast schon ein politisches Programm, ja ein befreiungstheologischer Weckruf, eine Mariologie, die die Fähigkeit hat, die Welt zu verändern.” Das könne Menschen inspirieren.

Die Theologin fügte hinzu: “Es gibt keinen revolutionäreren Text über Maria als diesen biblischen Lobpreis.” Doch dieses Bild von Maria werde “im aktuellen vatikanischen Schreiben leider nicht erwähnt”, sagte Rahner. “Aber gerade dieser Text hätte uns heute so viel zu sagen.”

Der biblische Text könne auch die hierarchische Ämterstruktur der Kirche hinterfragen. “Maria zeigt uns ja quasi ‘leibhaftig’, dass für Gott nichts unmöglich ist. Da steckt auch ungeheuer viel Hoffnung darin, nicht nur für Veränderungen in der Kirche, sondern natürlich weit darüber hinaus.”

Das neue Lehrschreiben aus dem Vatikan habe festgestellt, dass Maria keine Miterlöserin am Heilsplan Gottes sei. Diese Feststellung könne manche Menschen enttäuschen. Doch die Frage sei, warum? “Statt einer Trinität eine Quadrität zu fordern, also die Mutter des Herrn auf einmal neben Gottvater, Sohn und Geist zu setzen, hat doch sicher keiner beabsichtigt. Das wäre nicht mehr katholisch, das wird nie katholisch sein”, sagte Rahner. Sie bezeichnet es als “sehr hilfreich”, dass der Text dokumentiere, Jesus Christus sei der einzige Erlöser und Maria keine Miterlöserin. “Maria ist Fürsprecherin bei Christus”, betont die Dogmatiker-Professorin.