Der Kölner Stadtsuperintendent Bernhard Seiger fordert weitergehende Regelungen im geplanten Gesetz zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt, den das Bundeskabinett am 19. Juni auf den Weg gebracht hat. Der Staat müsse für alle Organisationen, die mit Kindern und Jugendlichen umgehen, vergleichbare und verbindliche Leitlinien und Verfahrensregeln zur Aufarbeitung festlegen, sagte der evangelische Theologe am Dienstagabend in Köln. Diese Standards müssten dann für Bereiche wie Kirchen, Schulen, Sport und Kultur gelten.
Es gehe um Vorgaben zum Umgang mit Akten, zur Unabhängigkeit der Aufarbeitung, zur Erstellung von Schutz- und Schulungskonzepten sowie vergleichbare Standards bei Anerkennungsleistungen für Betroffene, sagte der Spitzenvertreter des Kirchenverbands Köln und Region mit rund 230.000 Protestanten. Das „Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ soll das Amt der unabhängigen Missbrauchsbeauftragten Kerstin Claus gesetzlich verankern und Betroffene in ihren Rechten stärken, etwa im Blick auf Akteneinsicht. Auch der Betroffenenrat und die unabhängige Aufarbeitungskommission sollen gesetzlich abgesichert werden.
Mit Blick auf Prävention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche lenkte Seiger den Blick auf spezifische Faktoren, die Missbrauch begünstigen. „Wir haben uns für die liberale und lockere Kirche gehalten und sehen jetzt, dass das Böse auch darin Platz greifen konnte“, sagte er. Künftig dürfe es keine ungeregelten Grauzonen mehr geben: „Wir brauchen immer klare Verantwortlichkeiten und einen kritischen Blick auf Rollen und Machtstrukturen.“ Das Thema Missbrauch werde „ganz oben auf die Agenda“ genommen, nichts dürfe unbearbeitet bleiben.
Pfarrerin Miriam Haseleu, Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland, plädierte für die Entwicklung „einer neuen evangelischen Sprachkultur in Bezug auf Sexualität“. Eine Tabuisierung des Themas habe „dazu beigetragen, dass zu Grenzüberschreitungen und Übergriffen geschwiegen wurde“. Es brauche professionelle sexualpädagogische Konzepte in der Kinder- und Jugendarbeit.
Zu fragen sei auch, wie patriarchal die Kirche noch immer sei, dies gelte etwa für das Gottesbild, sagte Haseleu: „Was bewirkt eine rein oder überwiegend männliche Rede von Gott bei Menschen, die ganz überwiegend von männlichen Tätern Gewalt erfahren haben?“ Nötig sei eine „vielfältige Rede von Gott“ in Gottesdiensten und im Religionsunterricht. In der Bibel werde Gott beispielsweise auch als Mutter, Amme oder Quelle des Lebens bezeichnet.