Vielen jungen Menschen und ihren Familien war am buddhistischen Neujahrsfest Thingyan nicht zum Feiern zumute. Nach dem Fest an diesem Dienstag tritt im Bürgerkriegsland Myanmar die Wehrpflicht in Kraft.
Thura Myo lebt in Bangkok. Der 27-Jährige ist vor Jahren aus seiner Heimat Myanmar in die thailändische Hauptstadt gezogen. Die Metropole bietet einem Werbefachmann bessere Jobchancen. Regelmäßig hat Thura Myo, auch nach dem Militärputsch vom Februar 2021 in Myanmar, seine Familie und seine Freunde in Mandalay besucht. Damit ist aber seit dem 10. Februar Schluss. An dem Tag setzte das Militärregime das schon 2010 von der damaligen Junta erlassene Wehrpflichtgesetz in Kraft. Würde Thura Myo jetzt in seine vom Bürgerkrieg erschütterte Heimat reisen, müsste er in die Armee und an die Front.
Thura Myo, dessen richtiger Name zu seinem Schutz nicht genannt werden kann, sitzt nun in Bangkok fest. Aber nicht tatenlos. “Viele meiner Freunde aus Myanmar sind vor der Wehrpflicht nach Thailand geflohen”, sagt er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Ich habe Beziehungen zu den Einwanderungsbehörden in Myanmar und Thailand und konnte einigen helfen, Touristenvisa für Thailand zu bekommen.”
Die Junta steht mit dem Rücken zur Wand. Seit dem Start der Offensive des bewaffneten Widerstands im Oktober 2023 erleidet das Regime schwere militärische Niederlagen. Durch die Kämpfe in dem Mehrfrontenkrieg ist die Armee empfindlich geschwächt worden, weshalb die Putschgeneräle jetzt das Wehrpflichtgesetz durchsetzen. Experten sehen die Zwangsrekrutierung als einen Verzweiflungsakt der Junta, die von China und Russland unterstützt wird. Koordiniert von der Nationalen Einheitsregierung (NUG) haben inzwischen oppositionelle bewaffnete Gruppen und ethnische Milizen große Teile des Staatsgebietes unter ihre Kontrolle gebracht.
Der zweijährige Zwangsmilitärdienst gilt für alle Männer im Alter von 18 bis 35 und für Frauen von 18 bis 27 Jahren. Spezialisten wie Ärzte, Techniker oder Ingenieure bis zu 45 Jahre können für einen dreijährigen Dienst eingezogen werden. “Seit Ankündigung der Mobilisierung ist der Trend zu beobachten, dass junge Menschen die thailändische Grenze überqueren, während sich vor der thailändischen Botschaft in Yangon lange Schlangen gebildet haben. Vor den Passämtern in Mandalay und Yangon kam es zu Massenpaniken mit Toten und Verletzten”, hieß es in einem Bericht der internationalen Menschenrechtsorganisation “Mekong Migration Network” (MMN).
Viele, die es nicht ins Ausland schaffen, versuchen durch Flucht in die vom Widerstand schon befreiten Gebiete zu entkommen. Seit Ende März haben laut Berichten myanmarischer Exilmedien zudem die Einschreibungen in die seit dem Putsch als Akt des Widerstands boykottierten staatlichen Universitäten sprunghaft zugenommen. Grund: Studenten sind von der Wehrpflicht ausgenommen.
Der Zwangsmilitärdienst gilt auch für Migranten wie Thura Myo. Die Junta hat mit rechtlichen Schritten gegen Familienangehörige gedroht, einschließlich Inhaftierung und Beschlagnahmung von Vermögenswerten, wenn sich Migranten durch den Aufenthalt im Ausland dem Wehrdienst entziehen. “Migranten wagen es nicht mehr, bei den Botschaften Myanmars ihre Pässe erneuern zu lassen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie keine gültigen Papiere mehr haben, und könnte sich die Zahl der Asylanträge myanmarischer Staatsbürger in den Zielländern erhöhen”, befürchtet das MMN.
Von der Wehrpflicht betroffen sind sogar die muslimischen Rohingya, die im Rakhine-Staat unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern interniert oder in ihren Dörfern ghettoisiert sind. Die in Myanmar als staatenlos geltenden, rechtlosen und verfolgten Rohingya werden also gezwungen, für eine Armee zu kämpfen, die 2017 mehr als 700.000 Rohingya mit äußerster Brutalität nach Bangladesch vertrieben hat.
Ein Sprecher der oppositionellen Nationalen Einheitsregierung sagte wenige Tage vor dem bis Dienstag stattfindenden buddhistischen Neujahrsfest Thingyan auf X, ehemals Twitter: “RFA (Anm.: Radio Free Asia) berichtete, dass innerhalb eines einzigen Monats fast 1.000 Rohingya zu einer militärischen Ausbildung gezwungen wurden. Sie scheinen kaum mehr als menschliche Schutzschilde zu sein.” Die NUG forderte: “#UN und internationale Gemeinschaft müssen entschieden gegen die Zwangsrekrutierungen in #Myanmar vorgehen.”