Tausende bedrohte Afghanen warten bisher vergeblich auf Rettung
Nach der Machtübernahme der Taliban versprach Deutschland gefährdeten Personen die Aufnahme. Drei Jahre später warten immer noch Tausende auf die Bearbeitung ihrer Fälle. Bisher vergeblich. Etwa der Journalist Jawad.
Wäre er in seinem Land sicher, hätte er keine Sekunde darüber nachgedacht, es zu verlassen, sagt Jawad. Er heißt eigentlich anders, doch als Journalist in Afghanistan trachten die Taliban ihm ohnehin täglich nach dem Leben. Deshalb will er lieber anonym bleiben, als er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) seine Geschichte erzählt.
Als die Republik 2021 zusammenbrach, konnte Jawad aus familiären Gründen das Land nicht verlassen, weil er sich um seine Eltern kümmern musste. Für wen und von wo aus er als Reporter arbeitet, soll ebenfalls nicht im Text erscheinen. Als Journalist sei man schnell Opfer von willkürlichen Festnahmen, Drohungen, Misshandlungen und Zensur: “Ich bilde da keine Ausnahme.”
Unabhängig überprüfen lässt sich nicht alles an Jawads Geschichte, ohne ihn in Gefahr zu bringen. Doch es gibt starke Indizien dafür, dass stimmt, was er erzählt. Ende März bekam er die Aufnahmezusage über das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP), mit dem Deutschland bedrohten Afghaninnen und Afghanen die Reise nach Deutschland ermöglichen will. Er war von der Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) im Oktober 2023 für das Programm vorgeschlagen worden. Diese habe dafür seine persönlichen und beruflichen Angaben überprüft, so Stephanie Huber-Nagel, die sich bei RoG um Afghanistan kümmert: “Es konnte verifiziert werden, dass er journalistisch gearbeitet hat und wegen seiner journalistischen Tätigkeit gefährdet ist.” Auch die deutschen Behörden haben Jawads Angaben nochmals gecheckt.
Doch damit ist die Gefahr für ihn und seine Familie noch nicht gebannt. Denn trotz der Aufnahmezusage befindet er sich weiterhin in Afghanistan. Um nach Deutschland ausreisen zu können, muss er es nämlich zunächst in die pakistanische Hauptstadt Islamabad schaffen. Denn nur dort wickelt ein Dienstleister der deutschen Bundesregierung die letzten Formalitäten des BAP ab.
Jawad und seine Familie warten allerdings bis heute auf die erforderlichen Visa, um erst einmal von Afghanistan nach Pakistan reisen zu können: “Pakistanische Visa werden nur ausgestellt, wenn man bis zu 1.500 Dollar Schmiergeld zahlt”, berichtet der Journalist: “Unglücklicherweise haben wir nicht so viel Geld.” Das Geld für die Visa und auch für die Reisekosten von Afghanistan nach Pakistan müssen die Kandidaten für das BAP selbst aufbringen, berichtet Huber-Nagel: “Das ist ein großer Mangel an diesem Programm.”
Ob Jawad es noch rechtzeitig nach Pakistan schafft, ist offen. Einerseits angesichts der allgegenwärtigen Gefahr, in der er und seine Familie wegen seiner journalistischen Arbeit schweben. Andererseits ist auch die Zukunft des Bundesaufnahmeprogramms nach den aktuellen Haushaltsverhandlungen unklar.
Denn der Haushaltsplan für 2025 sieht keine Mittel spezifisch für das BAP vor, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der KNA bestätigte. Das sei das Ergebnis der “mit Blick auf die Haushaltskonsolidierung notwendigen Prioritätensetzung”. Regierungsintern berate man gerade über die Zukunft des Programms, so der Sprecher weiter.
Die Auswahlrunden seien fürs Erste schon gestoppt worden, fügt Huber-Nagel hinzu: “Wir wurden von einem Tag auf den anderen informiert, dass es mit Blick auf den Haushalt erstmal keine Auswahlrunden geben wird.” Dabei werde auch beraten, wie es mit den Fällen weitergehen soll, die wie Jawad schon eine Aufnahmezusage haben, deren Ausreise aber noch aussteht.
Unterdessen warten in Afghanistan noch Tausende auf die Bearbeitung ihrer Fälle im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms. 1.000 Personen sollten im Zuge des BAP monatlich nach Deutschland gelangen, so der ursprüngliche Plan der Bundesregierung. Das wären gut 20.000 bis heute. Tatsächlich aufgenommen wurden im Rahmen des Programms nach Angaben des Innenministeriums bisher 600 Personen.
Zwar beläuft sich die Gesamtzahl der aufgenommenen Afghaninnen und Afghanen auf über 34.300 Menschen; die Mehrzahl kam allerdings über andere Verfahren ins Land. 3.093 Personen wurde nach Angaben des Ministeriums bislang die Aufnahme über das BAP zugesagt. Reporter ohne Grenzen fürchtet nun in einer in dieser Woche veröffentlichten Zwischenbilanz angesichts des Haushaltsplans um die mehr als 2.000 Menschen, die trotz Zusage bisher nicht ausreisen konnten – so wie Jawad und seine Familie.
Dass die Aufnahmezahlen im Rahmen des BAP so deutlich hinter den 1.000 pro Monat zurückbleiben, begründet das Innenministerium mit der “Anzahl der zur Auswahl stehenden Vorschläge und inwieweit diese Personen auch die Kriterien für eine Aufnahme über das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Personen aus Afghanistan erfüllen”. Man habe zudem keinen Einfluss darauf, ob die aufzunehmenden Personen die Voraussetzungen für eine Ein- und Ausreise nach und von Pakistan erfüllen. Derzeit erfolge aber eine Evaluierung des Programms durch die Bundesregierung, so der Ministeriumssprecher weiter.
Von den Ergebnissen der Verhandlungen hängt einiges ab. Auch Jawad ist beunruhigt. Er könne es sich nicht leisten, mit seiner journalistischen Tätigkeit aufzuhören, weil er seine Familie ernähren müsse. Besonders zu schaffen mache ihm und seiner Frau die Tatsache, dass niemand mehr für die Familie sorgen könnte, falls Jawad etwas zustößt, weil Frauen unter der Herrschaft der Taliban kaum Chancen auf Arbeit haben. “Wir entkommen dem Tod, um ein Leben zu haben, wir flüchten vor Unterdrückung und Tyrannei, um in Freiheit zu leben. Ich könnte mir dafür kein besseres Land als Deutschland vorstellen”, sagt Jawad. Und wartet weiter.