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“Täuscht euch nicht, die Wähler und Wählerinnen sind nicht dumm”

Auch die bayerische Landeskirche beteiligt sich an einer bundesweiten Kampagne der evangelischen und katholischen Kirche vor der Bundestagswahl am 23. Februar. Unter dem Motto „Für alle. Mit Herz und Verstand“ rufen die Kirchen die Bevölkerung dazu auf, durch die Teilnahme an den Wahlen die Demokratie zu stärken und extremistischen Positionen entgegenzuwirken. Landesbischof Christian Kopp erläutert, weshalb der Einsatz für Demokratie auch und gerade für die Kirchen wichtig ist.

epd: Herr Kopp, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ist von vielen Seiten unter Druck. Sind Sie besorgt, dass die extremen politischen Ränder aus der Bundestagswahl gestärkt hervorgehen?

Kopp: Jeder, der unsere Demokratie achtet, muss da im Moment besorgt sein – spätestens, wenn man den Blick in andere, auch europäische Länder richtet. Wir haben aus ganz verschiedenen Gründen in vielen Teilen der Welt Entwicklungen, die Parteien mit radikalen Positionen stärken. Zahlreiche Menschen sehnen sich nach eindeutigen und einfachen Lösungen. Aber wir leben nun einmal im Zeitalter der Mehrdeutigkeiten.

epd: Wir sehen in Österreich, was passiert, wenn Parteien der Mitte sich nicht einigen. Für wie sinnvoll halten Sie es, dass demokratische Parteien untereinander schon vor der Wahl eine Zusammenarbeit ausschließen?

Kopp: Einer der großen Schätze der parlamentarischen Demokratien ist doch die Suche nach Kompromissen, nach einem gemeinsamen Nenner, einer Basis für die Zusammenarbeit. Das ist mühsam. Wir brauchen Politikerinnen und Politiker, die gezielt Kompromisse suchen. Bürgerinnen und Bürger interessieren sich für gute Lösungen und nicht, welche Parteien jetzt gut miteinander können und welche nicht.

epd: In den USA hat man ja aber gesehen, dass die Wählerinnen und Wähler offenbar durchaus für Politiker wie Donald Trump zu begeistern sind, die eben keine Kompromisse suchen…

Kopp: Einfache Antworten sind verführerisch, und Donald Trump bedient genau diese große Sehnsucht nach vermeintlich einfachen Lösungen. Den Wählern wird es nichts nutzen, sollte Grönland wirklich einmal zu den USA gehören. Dass er trotzdem gewählt wurde, daran könnte man zwar verzweifeln, aber was ändert das? Wir müssen eben weiter für Freiheit und Vielfalt eintreten.

epd: Kirche macht keine Parteipolitik, aber sie ist doch politischer Akteur. Wie kann sich beispielsweise die bayerische Landeskirche für unsere Demokratie starkmachen?

Kopp: Die Landeskirche war 2005 Gründungsmitglied des Bayerischen Bündnisses für Toleranz, weil sie sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung insgesamt bewusst ist. In diesem Bündnis erheben wir unsere Stimme zusammen mit anderen Institutionen. Vor der Bundestagswahl wollen wir als Kirche dafür werben, überhaupt zur Wahl zu gehen – und dafür, Politiker und Parteien zu wählen, die für das Gemeinwohl einstehen.

epd: Die Kirche war in ihrer Geschichte nicht gerade ein Wegbereiter oder Förderer der Demokratie. Weshalb ist der christliche Blick auf die Politik im Westen inzwischen so pro-demokratisch?

Kopp: Es ist leider richtig, dass die Kirchen in Deutschland lange Zeit abhängig von den jeweiligen Herrschenden waren und da gut gelebt haben. Aber die Kirchen haben aus den Erfahrungen der beiden Weltkriege gelernt. Die Demokratie, die seit 1949 in Deutschland aufgebaut wurde, ist ein so hohes Gut und engstens mit christlichen Werten verknüpft: Alle, die diese Demokratie abschaffen wollen, müssen mit unserem Widerstand rechnen!

epd: Können Sie diese christlichen Werte, die ganz konkret mit der Demokratie als Staatsform verknüpft sind, konkret benennen? Und wo ist die Grenze, wann der Boden der Demokratie verlassen wird?

Kopp: Das christliche Doppelgebot der Liebe bedeutet als zentraler ethischer Wert auch den Respekt vor jedem Leben – und das ist fundamental im Artikel eins unseres Grundgesetzes verankert. Wir erleben aber trotzdem derzeit etliche Menschen, die diese gemeinsame Grundlage verlassen und über Menschen gehässig und hetzend sprechen. Dieser Entwicklung müssen wir weiter vehement entgegentreten.

epd: Kirche und Diakonie haben zuletzt immer mal wieder erklärt, sie könnten „Verständigungsorte“ für die politische Debatte bieten. Was genau ist damit gemeint?

Kopp: Kirchliche und diakonische Orte waren immer schon Verständigungsorte: Gemeindehäuser etwa, in denen sich Seniorinnen und Senioren zum Kaffee treffen, oder auch Kindergärten, in denen Eltern mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen zusammenkommen. Gesamtgesellschaftlich wird aber immer weniger mit-, dafür aber mehr übereinander geredet. Deshalb wollen Kirche und Diakonie zum Austausch einladen!

epd: Sie wollen also Menschen dazu motivieren, sich auszutauschen, miteinander zu reden. Aber man hat doch zunehmend den Eindruck, viele Menschen wollen gar keinen Dialog mehr…

Kopp: Man darf nicht aufhören, zum Gespräch einzuladen. Und man darf nicht unterschätzen, wie viele Menschen Sehnsucht nach Kontakt haben. Unsere Hoffnung ist, dass wir auch die Menschen erreichen, die sich aus verschiedenen Gründen abgehängt fühlen. In der Geschichte unserer Kirche gab es immer wieder Situationen, wo wir integrierend wirken mussten. Jetzt ist wieder so eine Situation: Lasst uns miteinander reden!

epd: Was müsste eine künftige Bundesregierung aus Ihrer Sicht tun, damit sie diese vermeintlich „abgehängten“ Menschen wieder erreicht?

Kopp: Wir brauchen eine Politik, die glaubwürdig den Ausgleich sucht. Ein solcher Ausgleich ist schwer zu erreichen, wenn sich manche Regierungspartner immerzu profilieren wollen, wie wir es in der Ampel-Koalition zuletzt erlebt haben. Die Wählerinnen und Wähler wollen, dass jemand einen klaren Kurs vorgibt und den dann auch vier Jahre umsetzt. Das würde ich mir auch persönlich wünschen.

epd: Aber offenbar ist es ja sowohl im politischen Alltagsgeschäft als auch jetzt im Wahlkampf viel einfacher und auch erfolgreicher für Parteien, auf Abgrenzung statt auf Kompromisse zu setzen…

Kopp: Meine Antwort darauf ist ein Appell an die Politikerinnen und Politiker: Täuscht euch nicht, die Wähler und Wählerinnen sind nicht dumm. Spätestens wenn große Versprechungen gemacht und nicht eingehalten werden können, rächt sich das. Das wird, da bin ich ziemlich sicher, auch bei US-Präsident Donald Trump und anderen Populisten passieren. Wir brauchen eine Regierung, die auf Ausgleich und Fairness setzt.

epd: Trotz Kriegen und Krisen geht es den meisten Menschen in Deutschland noch mehr als gut – weshalb haben trotzdem so viele Menschen Verlustängste?

Kopp: Es ist nun einmal so, dass es in Deutschland viele Jahrzehnte immer nur eine Richtung gab: aufwärts. Immer bessere Jobs, immer bessere Wohnstandards, immer mehr Geld. Aber inzwischen wollen auch andere Länder auf dieser Welt ihren Anteil vom Kuchen – und der ist nicht unendlich groß. Wir müssen uns letztlich eingestehen: Wir müssen mit weniger zurechtkommen, auch mit Blick auf Umwelt und Klima. (00/0091/14.01.2025)