Der US-amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle gehört zu den meistgelesenen englischsprachigen Autoren in Deutschland. Zuletzt erschien sein Roman „No Way Home“, mit dem er gerade auf Lesereise in Deutschland war. Der 77-jährige Starautor mit irischen Wurzeln sprach mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) darüber, warum er keine guten Botschaften in seinen Büchern verbreitet, was ihm trotzdem Freude macht, warum er die Deutschen liebt und was das mit Amerika zu tun hat.
epd: Ihr aktueller Roman „No Way Home“ ist im September erst in Deutschland im Hanser Verlag erschienen, bevor er im kommenden Jahr auf Englisch publiziert wird. Die Deutschen scheinen Sie zu lieben, lieben Sie auch die Deutschen?
T. C. Boyle: Ich liebe die Deutschen mehr als jedes andere Volk, weil sie mich lieben. Meine Frau ist deutscher Abstammung und mein erster Enkelsohn heißt Wolfgang.
Die Liebe, die mir entgegengebracht wird, ist großartig. Ich lebe in Amerika in einer Welt voller Hass, daher ist das sehr erfrischend.
epd: In Ihrem Roman listen Sie viele Probleme der westlichen Gesellschaften auf: Einsamkeit, inneres Chaos und Kontrollverlust. Wir konnten darin kaum Zeichen der Hoffnung finden, kein Happy End. Haben Sie ein Rezept für ein gutes Leben?
Boyle: Ich wünschte, ich hätte in meinen Büchern bessere Nachrichten für die Menschheit. Aber ich schreibe in „No Way Home“ über das, was mich beschäftigt. Wie Sie bereits angemerkt haben, ist es ziemlich düster. In dem Roman spürt man die Spannung zwischen der kalifornischen Großstadt Los Angeles und dem ländlichen Nevada. Das wollte ich in diesem Roman jedoch nicht in den Vordergrund stellen.
Ich weiß nicht, wie eine Geschichte sein wird, bevor ich sie schreibe. Es ist immer ein Prozess der Entdeckung. Auch die Geschichte in „No Way Home“ hat sich etwas anders entwickelt, als ich es mir ursprünglich vorgestellt hatte. Ich dachte, es würde mehr um Umweltaspekte gehen. Das tut es natürlich auch, denn sie spielt in Boulder City, Nevada, wo sich der Hoover-Damm befindet und der Colorado River aufgestaut wurde, um Wasser zu liefern. Die Figuren beobachten, dass er immer weiter schrumpft, weil das Wasser ausgeht. Aber im Wesentlichen geht es doch um das Drama zwischen drei Figuren: Diese zwei Männer, die um dieselbe Frau buhlen, die beide manipuliert.
epd: Bei Jesse, eine der drei Hauptfiguren, sind Parallelen zu Ihrer eigenen Biografie erkennbar. Wie Sie hat er einen Abschluss an einem staatlichen College gemacht und arbeitet als Lehrer an seiner alten High-School, außerdem beginnt er ein Romanprojekt. Sind diese Ähnlichkeiten Absicht?
Boyle: Ich denke schon. Ich hatte beim Schreiben Spaß mit dem Möchtegern-Schriftsteller, der weder das Talent noch den Wunsch hat, das weiter zu verfolgen oder zu arbeiten. Er stellt sich nur vor, wie es sein könnte.
Also hatte ich satirischen Spaß mit ihm. Alle meine Bücher handeln von „Punks“, die sich gegen alles auflehnen und versuchen, in ihrer eigenen Welt zu leben – anders als ich.
epd: Viele Ihrer Bücher – zum Beispiel „América“, „Hart auf Hart“ oder „Blue Skies“ – haben etwas Prophetisches. Haben Sie ein Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen in der Zukunft oder sind Sie einfach nur ein sehr guter Satiriker?
Boyle: Ich nehme an, meine Bücher sind prophetisch, nehmen Sie etwa „Ein Freund der Erde“ (aus dem Jahr 2000, Anm. d. Red.). Die Umweltzerstörung, die ich darin beschrieben habe, erleben wir jetzt, 25 Jahre später. Ich mache mir ständig Sorgen um alles, was mit der menschlichen Existenz, unserer Politik und insbesondere unserer Umwelt zu tun hat. Wie ich bereits sagte, hätte ich gerne bessere Nachrichten, aber die habe ich nicht.
Meine Lebensfreude kommt aus der Liebe zur Literatur, zur Natur und zu meiner Familie. All den wirklich wichtigen Dingen! Und natürlich davon, Künstler zu sein!
epd: Manche hätten einen Trump-Roman von Ihnen erwartet. Wie gehen Sie mit diesen Erwartungen um?
Boyle: Mir ist es egal, was andere erwarten. Ich bin Künstler. Erstmal mache ich Kunst für mich selbst, um sie dann der Welt zu zeigen. Ich mag es gar nicht, wenn meine Kunst gekapert wird.
Ich schrieb „No Way Home“ während sich die katastrophalste Wahl in der Geschichte der USA anbahnte. Viele Dinge, die mich beschäftigen, wie zum Beispiel die politische Lage, konnte ich darin nicht konkret ansprechen.
Als ich den Roman fertiggestellt hatte, schrieb ich sechs Kurzgeschichten, die zusammen mit sechs weiteren Geschichten im kommenden Jahr in einem Sammelband mit dem Titel „The End is Only a Beginning“ im Hanser Verlag erscheinen werden. Eine der neuen, bislang unveröffentlichten Kurzgeschichten handelt von der Übernahme unserer Regierung durch Rechte. Es ist eine Satire, sehr witzig und sehr bösartig.
epd: Sie haben mittlerweile 33 Bücher veröffentlicht, darunter 200 Shortstories. Wie können wir uns Ihren kreativen Prozess vorstellen?
Boyle: Normalerweise schreibe ich jeden Tag, außer ich bin auf Lesereise in Deutschland. Das ist mein Leben. Das ist meine Art, mit der Welt in Beziehung zu treten. So versuche ich, die Dinge für mich zu ordnen.
Die Welt ist völlig außer Kontrolle, chaotisch und beängstigend. Aber wenn ich eine Geschichte schreibe, bin ich der Gott dieser Welt und kann alles geschehen lassen, was ich will. Das ist eines der schönsten Dinge daran, Belletristik zu schreiben.
Als ich mit den neuen Kurzgeschichten fertig war, habe ich direkt begonnen, einen neuen Roman zu schreiben. Dafür muss ich noch viel recherchieren. Aber zumindest habe ich eine Idee und einen Anfang.
epd: Davon müssen Sie gleich noch erzählen. In Ihrem Roman „América“, der von Migration, Armut und Abschottung handelt, geht es um Themen, die wieder hochpolitisch sind. Hat die gesellschaftliche Realität Ihre Fiktion inzwischen eingeholt?
Boyle: Ja, „América“ ist relevanter als damals, als ich es 1995 schrieb, um meine eigenen Gefühle über die Vorurteile gegenüber Mexikanern zu sortieren. Ich hatte keine Vorurteile, ich kam aus New York, wo wir Mexiko und die mexikanische Kultur verehrten. Ich habe in der High-School Spanisch gelernt.
Ich wollte beide Perspektiven darstellen: die der radikalen Rechten und die der mexikanischen Einwanderer. In einem Roman wie diesem kann der Leser eine Verbindung zu Figuren aufbauen, denen er sonst nie begegnen würde. Mir haben Leute gesagt, dass sich ihre Einstellung nach der Lektüre verändert hat. Das finde ich großartig. Auch wenn ich nicht schreibe, um irgendjemanden von irgendetwas zu überzeugen.
epd: „América“ tauchte schon vor Beginn der Trump-Administration auf Listen der „banned or challengend books“ auf. Viele der aktuellen „book bans“ betreffen Schulbibliotheken. Wie gefährlich ist es für die Demokratie, wenn junge Menschen keinen Zugang mehr zu „unbequemen“ Büchern haben?
Boyle: Das ist eine große Gefahr für das freie Denken und die Demokratie. Und natürlich sind wir Schriftsteller dagegen, dass Bücher in Bibliotheken verboten werden. Genau das ist das Thema meines nächsten Romans, der mich die nächsten Wochen beschäftigen wird, wenn ich mich von meiner Lesereise erholt habe.
In vielen Fällen haben rechte Organisationen eine Liste von Büchern erstellt, die sie für anstößig halten, meist in Bezug auf sexuelle Inhalte oder Homosexualität oder Themen, die sie hassen. Oft hat die Bibliothek in einigen Fällen diese Bücher gar nicht. Und sicherlich haben die Leute, die gegen diese Bücher protestieren, noch nie eines dieser Bücher gelesen.
epd: Sie haben in einem Interview mit Bezug auf die globale Erwärmung und die Überbevölkerung einmal gesagt, dass wir in einem Zug sitzen, der nirgendwohin fährt. Macht Sie diese Sichtweise eher depressiv oder fordert es Sie heraus, sich zu engagieren?
Boyle: Nun, ich liebe es, wie fröhlich und glücklich ich bin. Aber mein Herz ist schwarz wie ein Stück Kohle. Ich bin deprimiert, nicht nur wegen dieser „kleinen Unstimmigkeit“ in der amerikanischen Politik. Sondern wegen der Folgen, die das hat, nämlich dass alle grünen Initiativen der Biden-Regierung über Bord geworfen wurden. Das wird uns wahrscheinlich um Jahrzehnte zurückwerfen, wenn es darum geht, die vielleicht entscheidende Krise zu bewältigen, mit der die Menschheit konfrontiert ist. Das ist der Klimawandel, der bereits weltweit katastrophale Auswirkungen hat.
Die gute Nachricht ist, und ich habe versucht, dies allen mitzuteilen, dass in etwa 3,5 Milliarden Jahren die Sonne anschwellen und die Erde verbrennen wird, sodass sie wie ein gewaltiger Brikettbrocken durchs All treibt. Das ist die wirklich gute Nachricht.