Suizid-Prävention: Initiativen fordern mehr Geld
Rund 9.000 Menschen sterben in Deutschland jährlich durch die eigene Hand. Jetzt schlagen Präventionsinitiativen Alarm – die Fortführung von niedrigschwelligen Beratungsprojekten sei gefährdet. Es brauche eine Strategie.
Die Zahlen sind erschreckend: Mehr als 9.000 Menschen nahmen sich in Deutschland im Jahr 2022 das Leben. „Das sind mehr Tote als durch den Straßenverkehr, Schusswaffen und illegale Drogen zusammengenommen verursacht werden“, sagte die Leiterin des Suizidpräventionsprojekt MANO, Christine Schweizer, am Dienstag in Kassel. Das Thema Suizid werde „im wahrsten Sinne des Wortes zumeist totgeschwiegen.“ Hinzu kommen geschätzte rund 100.000 Suizidversuche – diese sind nicht meldepflichtig.
Präventionsorganisationen fordern deshalb von der Bundesregierung, mindestens 20 Millionen Euro im kommenden Haushaltsjahr 2024 für eine bessere Suizidprävention vorzusehen. Menschen, die Gedanken an eine Selbsttötung haben, profitierten vor allem von niedrigschwelligen Beratungsangeboten wie Online- oder Telefonberatung. Diese fänden anonym statt und gewährleisteten „einen Beziehungsaufbau auf Augenhöhe“. Allerdings seien sie oft überlaufen – und müssten aufgrund fehlender Finanzen teilweise damit rechnen, eingestellt zu werden.
In Deutschland gibt es etwa 300 Beratungsstellen zur Suizidprävention. Sie werden von Kirchen, Wohlfahrtsorganisationen, Vereinen und Stiftungen getragen. Zu den Ursachen für Suizide gehören auch psychische Erkrankungen wie etwa Depressionen.
Unter finanziellem Druck steht etwa die Online-Initiative U 25 – ein Projekt, das unter anderem von der Caritas getragen wird. Hier können sich Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahren melden, wenn sie an Selbsttötung denken. Gleichaltrige sind online die ersten Ansprechpartner, um als Türöffner zu wirken und dann gegebenenfalls an die entsprechenden Beratungsstellen weiterleiten zu können.
Gerade im Jugendalter sind Menschen suizidgefährdet – im Jahr 2020 etwa war der Suizid mit 507 Fällen die häufigste Todesart bei unter 25-Jährigen. Knapp 1.200 Ratsuchende gab es hier bundesweit, von denen 92 Prozent als suizidal einzustufen seien. „Die Finanzierung ist aber nur bis 2024 gesichert“, kritisierte Klaus Weckwerth von U 25.
Auch bei der TelefonSeelsorge, die nach eigenen Angaben im Jahr 2022 etwa 1,17 Millionen Beratungsgespräche rund um Lebenshilfe geführt hat, sind suizidale Themen ein immer wiederkehrendes Thema: So wurden in den Gesprächen rund 70.000 Mal Suizidgedanken angesprochen. Und auch hier drohen Sparmaßnahmen: Den größten Anteil an der finanziellen Ausstattung haben die beiden großen Kirchen. „Die TelefonSeelsorge wird innerhalb der Kirchen sehr wertgeschätzt; sie wird aber von deren aufgrund des Mitgliederschwundes unvermeidbaren Einsparanstrengungen nicht verschont werden“, sagte der Bundesvorsitzende Helmut Ellensohn.
Gerhard Fiedler von der Deutschen Akademie für Suizidprävention erklärte, die hohe Anzahl von Suiziden und Suizidversuchen zeige, „dass viele Menschen von den Angeboten des Gesundheitswesens nicht erreicht werden. Erreicht werden diese Menschen besonders über niedrigschwellige Hilfen in Beratungsstellen oder durch Online-Angebote.“
Ein Anrufer bei der Telefonseelsorge erklärte etwa einmal: „Die Möglichkeit, bei ihnen anonym anrufen und von meinen Suizidgedanken und Absichten offen und frei sprechen zu können, war sehr hilfreich.“ Es sei überlebensnotwendig gewesen, mit jemanden über Lebensperspektiven nachdenken zu können.
Anfang Juli hatte der Deutsche Bundestag den Entschluss gefasst, die Suizidprävention in Deutschland zu stärken. Die Experten der Suizidprävention fordern jetzt eine nationale Strategie von der Bundesregierung: So könne etwa die Einrichtung einer bundeseinheitlichen Rufnummer helfen, schnell zu wissen, wo es Hilfe gibt, so Fiedler. Ebenso müssten qualifizierte regionale niedrigschwellige Beratungsangebote ausgebaut werden. Diese seien auch für Hinterbliebene nach Suizid und für Angehörige suizidgefährdeter Menschen wesentlich.
Zudem sollten palliative und Hospizhilfen am Lebensende sowie Trauerbegleitungsangebote ausgebaut werden. Die Kritik: Bevor man die Sterbehilfe regelt – wie es der Bundestag plant -, solle es zunächst eine bessere Suizidprävention geben.