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Studie zu Kinderverschickungen nach St. Peter-Ording abgeschlossen

Die wissenschaftliche Studie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zu den Kinderverschickungen zwischen 1945 und 1990 nach St. Peter-Ording (Kreis Nordfriesland) ist abgeschlossen. Historiker und Soziologen hatten bereits seit 2021 zu den umstrittenen Kinderkuren geforscht. Nun ist auch der „Runde Tisch“ nach vier Sitzungen abgeschlossen, wie die Universität mitteilte. Zu den Kinderkuren wurden mehr als zehn Millionen Kinder und Jugendliche geschickt, etwa 325.000 waren an der Nordsee in St. Peter-Ording. In den mindestens 43 Einrichtungen des beliebten Urlaubsortes erlitten sie oft lieblose und demütigende Behandlung bis hin zu körperlicher Gewalt.

Der „Runde Tisch“, bei dem sich Verschickungskinder, ehemaliges Kurheimpersonal, Politiker und Anwohnerinnen austauschten, ist den Angaben zufolge bundesweit einmalig. „Dabei ging es nicht darum, einen Konsens herzustellen, sondern die vielen unterschiedlichen Wahrnehmungen sichtbar zu machen – jenseits der einfachen Täter-Opfer-Erzählung“, sagte der Historiker Helge-Fabien Hertz.

Die Ergebnisse zeigen unterschiedlichste Perspektiven auf die umstrittenen Kinderkuren. Heimbeschäftigte hatten meistens das Bestreben, Kinder bei Bewegung, frischer Luft und nahrhaftem Essen zu stärken. Etlichen Kindern blieben der Zwang zum Essen und Mittagsschlaf, das Kontaktverbot zu den Eltern oder sogar Toilettengangverbot zwecks Disziplinierung im Gedächtnis. Die Wissenschaftler trafen aber auch auf verschickte Kinder, die mit dieser Zeit positive Erinnerungen verbinden.

„Der Austausch war nicht nur von großem gegenseitigem Interesse, sondern auch von viel Respekt und Anteilnahme geprägt“, betonte der Historiker. Das ermöglichte, dass gegensätzliche Erfahrungen ans Licht kamen und komplexe Erzählungen entstanden. Was für die einen in der Erinnerung ein „Strandspaziergang“ gewesen sei, habe für andere einen „Gewaltmarsch“ bedeutet. Was manche Verschickungskinder als „Gewalt“ erlebten, habe das Heimpersonal als „Erziehungsmaßnahme“ oder „Therapieform“ verstanden, so Hertz.

Ob ein Kind eine Kur als angenehm oder belastend erlebt habe, hänge von vielen Einflüssen ab, erklärte der Forscher. Zu den Faktoren zählten die jeweilige Heimkultur, die Personalausstattung, das Alter oder die familiären Herkunft des Kindes. Auch der zeitliche Kontext habe eine Rolle gespielt: In den ersten Nachkriegsjahren erlebten viele Kinder die Kur positiv, weil sie ein Bett und genug zu essen hatten. In den 1950er und 1960er Jahren war die Erziehung in den Heimen autoritär, bevor in den 1970er Jahren zunehmend die antiautoritäre Erziehung einzog. Gleichwohl habe es auch extreme Gewalt gegeben, betonte der Historiker.

Die derzeit nur digital zugängliche Sonderausstellung „Kinderkurheime in St. Peter-Ording: Orte der Erholung, Orte der Gewalt?“ soll nun in die Dauerausstellung des Museums Landschaft Eiderstedt in St. Peter-Ording aufgenommen werden. Außerdem ist im Ort eine Erinnerungstafel geplant.

Auslöser für das wissenschaftliche Projekt war eine Frau, die einst als „Verschickungskind“ nach St. Peter-Ording kam und 2021 einen Brief an die Gemeinde schickte, in dem sie ihre belastenden Erfahrungen schilderte. Daraus hatte sich eine Arbeitsgruppe entwickelt, die in der Studie der Kieler Wissenschaftler mündete.